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Lektion 3

Die erste Woche

Painting of Saint John writing his Gospel

Übersicht​

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Das Buch der Zeichen (Johannes 1, 19 – 12, so benannt wegen der sieben Wunder oder Zeichenhandlungen, von denen dort berichtet wird) beginnt mit einer Beschreibung der ersten Woche von Jesu öffentlichem Auftreten. Die Ereignisse spielen sich an sieben aufeinanderfolgenden Tagen ab. Mittels dieser Struktur will uns der Evangelist die Hauptpersonen seiner Geschichte vorstellen und die Handlung aufbauen. Am ersten Tag begegnen wir Johannes dem Täufer. Auch die Schurken der weiteren Erzählung lernen wir kurz kennen: die jüdischen Autoritäten, die Johannes befragen, warum er tauft. Am zweiten Tag legt Johannes Zeugnis ab für Jesus. An den Tagen drei bis fünf begegnen wir den ersten Jüngern. Schließlich, am letzten Tag der Woche, verwandelt Jesus Wasser in Wein. Wenn wir dieses Wunder im Licht des Alten Testaments deuten, sehen wir, dass Jesus damit den Anbruch des messianischen Zeitalters der Erlösung einläutet.

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Lernziele

 

Sie werden diese Lektion erfolgreich abgeschlossen haben, wenn Sie

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  • ​erklären können, wie der Evangelist Johannes den Beginn des Wirkens Jesu innerhalb eines Zeitraums von sieben Tagen strukturiert hat;

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  • die wichtigsten Ereignisse beschreiben können, die in dieser ersten Woche stattfinden;

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  • erklären können, wie Jesu erstes Wunder in Kana den Beginn des messianischen Zeitalters der Erlösung ankündigt.

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Einführung

 

Im Folgenden wollen wir den ersten Teils des Evangeliums, das Buch der Zeichen, betrachten. Exegeten haben verschiedene Möglichkeiten vorgeschlagen, es zu strukturieren. Diese Untergliederungen sind alle möglich und ergänzen sich gegenseitig. Da wir in diesem Kurs das Johannes-Evangelium im Hinblick auf die Handlung analysieren wollen, unterteilen wir das Buch der Zeichen in vier Abschnitte:

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  1. Die erste Woche des Wirkens Jesu (1, 19-2, 12)

  2. Jesu frühes Wirken (2 ,1-4, 54)

  3. Zunehmende Opposition und Ablehnung (5, 1-10, 42)

  4. Die Autoritäten beschließen, Jesus zu töten (11, 1-12, 50)

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Die erste Woche des Wirkens Jesu

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Nach dem Prolog beginnt Johannes, seine Geschichte von Jesus Christus zu erzählen. Er ordnet die Ereignisse, von denen er in den Einführungskapiteln berichtet, im Tagesrhythmus an.

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​Am Tag darauf ... (1, 29)

Am Tag darauf ... (1, 35)

Am Tag darauf ... (1, 43)

Am dritten Tag ... (2, 1)

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Dies ist eine weitere Anspielung auf den Schöpfungsbericht im ersten Kapitel der Genesis. Dieses ist ebenfalls als Sechs-Tage-Werk strukturiert.

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Es wurde Abend und es wurde Morgen: erster Tag. (Gen 1, 5)

Es wurde Abend und es wurde Morgen: zweiter Tag. (Gen 1, 8)

Es wurde Abend und es wurde Morgen: dritter Tag. (Gen 1, 13)

...

 

Diese Struktur verstärkt die bereits im Prolog angedeutete Vorstellung, dass mit Jesus eine neue Schöpfung begonnen hat.

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In dieser ersten Woche werden wir mit den Hauptpersonen der Geschichte bekannt gemacht. Am ersten Tag begegnen wir Johannes dem Täufer. Dann, am zweiten Tag, legt der Täufer Zeugnis für Jesus ab. Die Apostel betreten die Bühne in den folgenden drei Tagen: Andreas und ein namenloser Jünger (wahrscheinlich Johannes selbst) erscheinen zuerst, dann Petrus und schließlich Philippus und Natanaël. Schließlich, am siebten und letzten Tag – während der Hochzeit zu Kana – offenbart Jesus zum ersten Mal seine Herrlichkeit, indem er Wasser in Wein verwandelt. Johannes teilt uns mit, dass die Jünger daraufhin an ihn glaubten, und lädt dadurch uns, die Leser, ein, ebenso an Jesus zu glauben. Er lässt uns auch wissen, dass dieses Jesu erste zeichenhafte Handlung war, so dass wir weitere und noch größere Zeichen erwarten dürfen.

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Die Handlung in jeder guten Geschichte basiert auf einem Konflikt, den der Held überwinden muss. Im Johannes-Evangelium erfahren wir erst im fünften Kapitel, dass die Gegner Jesu – die Pharisäer und andere jüdische Autoritäten – planen, ihn zu bekämpfen, nachdem er am Sabbat einen Gelähmten geheilt hat. Allerdings erhalten wir bereits von Anfang an Hinweise darauf, dass nicht alles gut gehen wird. Der Evangelist warnt uns schon im Prolog: „Er kam in sein Eigentum, aber die Seinen nahmen ihn nicht auf.“ (1, 11). Und so begegnen wir am ersten Tag zunächst den Pharisäern, die Johannes den Täufer verhören. Der Ton des Dialogs deutet eine feindliche Haltung an.

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Tag 1 – Johannes der Täufer

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Und dies ist das Zeugnis des Johannes, als die Juden von Jerusalem aus Priester und Leviten zu ihm sandten mit der Frage: Wer bist du? Er bekannte und leugnete nicht; er bekannte: Ich bin nicht der Christus.  Sie fragten ihn: Was dann? Bist du Elija? Und er sagte: Ich bin es nicht. Bist du der Prophet? Er antwortete: Nein. (1, 19-21)

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Johannes beginnt sein Evangelium nicht mit der Empfängnis, Geburt oder Kindheit Jesu. Stattdessen stellt er uns den Vorläufer Jesu vor: Johannes den Täufer. Er wurde im Prolog bereits kurz erwähnt und über ihn wurde gesagt, dass er gekommen sei, um Zeugnis vom Licht abzulegen. Deshalb macht es Sinn, hier mit ihm zu beginnen. Wie wir in der vorherigen Lektion gesehen haben, spielen Zeugen eine wichtige Rolle in der Heilsgeschichte, weil Gott möchte, dass seine Handlungen von Zeugen bestätigt werden.

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Bevor erzählt wird, was Johannes der Täufer getan hat, erfahren wir zunächst, wer er war, oder besser gesagt, wer er nicht war. Wir wissen aus historischen Quellen, dass er eine äußerst populäre Person war. Und Markus sagt, dass Menschen aus ganz Judäa, besonders aber aus Jerusalem, zu ihm strömten, „sie bekannten ihre Sünden und ließen sich im Jordan von ihm taufen" (Mk 1, 5). All diese Aktivitäten haben natürlich das Misstrauen der Behörden in Jerusalem geweckt. Die Priester und Leviten kontrollierten die Tempelopfer, und es war ihre Aufgabe, die Menschen für rein oder unrein zu erklären. Sie verteidigten diese Vorrechte vehement, so dass sie dieser Art von Wettbewerb nicht freundlich gegenüberstanden. Daher entsenden sie eine Delegation, um die Angelegenheit zu untersuchen.

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Da viele Menschen den Täufer für den Messias hielten, sprachen ihn die Priester als erstes darauf an, aber er entgegnete: „Ich bin nicht der Christus.“ Daraufhin fragen sie ihn, ob er Elija oder der Prophet sei. Warum Elija? Wir erfahren in 2 Könige 2, dass Elija nie gestorben ist. Stattdessen wurde er in einem Wagen in den Himmel aufgenommen. Und Maleachi hatte prophezeit:

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Bevor aber der Tag des HERRN kommt, / der große und furchtbare Tag, / seht, da sende ich zu euch den Propheten Elija. Er wird das Herz der Väter wieder den Söhnen zuwenden / und das Herz der Söhne ihren Vätern, damit ich nicht komme / und das Land schlage mit Bann. (Mal 3, 23)

 

Daher erwartete das Volk, dass Elija vor dem Kommen des Messias zurückkehren würde. Der Täufer stellt nun klar, dass er nicht Elija ist. Damit meint er, dass er nicht der reinkarnierte Elija ist. Aber wir wissen von Matthäus, dass er die Erfüllung dieser Prophezeiung war.

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Da fragten ihn die Jünger: Warum sagen denn die Schriftgelehrten, zuerst müsse Elija kommen? Er gab zur Antwort: Ja, Elija kommt und er wird alles wiederherstellen. Ich sage euch aber: Elija ist schon gekommen, doch sie haben ihn nicht erkannt, sondern mit ihm gemacht, was sie wollten. Ebenso wird auch der Menschensohn durch sie leiden müssen. Da verstanden die Jünger, dass er zu ihnen von Johannes dem Täufer sprach. (Mt 17, 10-13)

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Warum der Prophet und nicht nur ein Prophet? Israel hatte viele Propheten gehabt, aber wann immer das Neue Testament vom Propheten spricht, bezieht es sich auf einen bestimmten Propheten – den von Mose angekündigten.

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Damals sagte der HERR zu mir [Mose]: Was sie von dir verlangen, ist recht. Einen Propheten wie dich will ich ihnen mitten unter ihren Brüdern erstehen lassen. Ich will ihm meine Worte in den Mund legen und er wird ihnen alles sagen, was ich ihm gebiete. (Dtn 18, 17-18)

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Mose wird von den Juden als der größte Prophet angesehen, weil ihm zugeschrieben wird, die Tora aufgezeichnet und die Israeliten in das Gelobte Land geführt zu haben. Als er verkündete, dass Gott einen Propheten wie ihn senden werde, deutete er auf Jesus voraus, den neuen Mose. Aber einige hielten Johannes den Täufer dafür.

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Wer war Johannes der Täufer dann? Auf diese Frage antwortet er selbst:

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Ich bin die Stimme eines Rufers in der Wüste: Ebnet den Weg für den Herrn!, wie der Prophet Jesaja gesagt hat. (Joh 1, 23)

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Diese Antwort ist einer Prophezeiung des Propheten Jesaja entnommen, in der es heißt, dass Gott selbst mit Macht kommen werde, um sein Volk zu retten und seine Sünden zu vergeben (vgl. Jes 40, 1-11). Die Sprache macht deutlich, dass Jesaja von einem neuen Exodus spricht. Wie der Prolog so ist auch dieser Abschnitt des Evangeliums voll von Exodusbildern aus dem Alten Testament. Wir hatten schon erwähnt, dass der Prophet sich auf das Kommen des neuen Mose bezieht. Weitere Bilder sind:

 

  • Das Wasser, das bei der Taufe verwendet wird, erinnert uns an den Durchzug durch das Rote Meer. So wie die Israeliten vor den Ägyptern gerettet wurden, als sie durch das Wasser schritten, so werden auch wir durch das Wasser der Taufe gerettet.

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  • Das Wirken des Täufers in der Wildnis oder Wüste erinnert uns an die 40 Jahre, die die Israeliten auf ihrem Weg ins Gelobte Land durch die Wüste wanderten.

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  • Die Taufe der Menschen im Jordan erinnert an das Ende des Exodus, als Josua das Volk durch den Jordan ins Gelobte Land führte.

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Johannes der Täufer war der Vorläufer dieses neuen Exodus. Er bereitete das Volk darauf vor und „verkündete eine Taufe der Umkehr zur Vergebung der Sünden" (Mk 1, 4).

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Tag 2 – Das Zeugnis des Täufers über Jesus

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Nachdem der Evangelist betont hat, dass Johannes der Täufer nicht der Messias ist, beschreibt er das Zeugnis, das jener über Jesus abgelegt.

 

Am Tag darauf sah er Jesus auf sich zukommen und sagte: Seht, das Lamm Gottes, das die Sünde der Welt hinwegnimmt! Er ist es, von dem ich gesagt habe: Nach mir kommt ein Mann, der mir voraus ist, weil er vor mir war. Auch ich kannte ihn nicht; aber ich bin gekommen und taufe mit Wasser, damit er Israel offenbart wird. Und Johannes bezeugte: Ich sah, dass der Geist vom Himmel herabkam wie eine Taube und auf ihm blieb. Auch ich kannte ihn nicht; aber er, der mich gesandt hat, mit Wasser zu taufen, er hat mir gesagt: Auf wen du den Geist herabkommen und auf ihm bleiben siehst, der ist es, der mit dem Heiligen Geist tauft. Und ich habe es gesehen und bezeugt: Dieser ist der Sohn Gottes. (1, 29-34)

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Im Gegensatz zu den Synoptikern beschreibt der Evangelist nicht direkt die Taufe Jesu. Aber wir erfahren, dass Johannes der Täufer sah, wie der Geist wie eine Taube auf Jesus herabkam. Das war das Zeichen, das Gott ihm gegeben hatte und für das er Zeugnis ablegen sollte.

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Der Täufer nennt Jesus auch das Lamm Gottes. Jeder Jude des ersten Jahrhunderts konnte darin das Paschalamm erkennen (vgl. Ex 12). Denken Sie daran, dass das Blut des Lammes, das auf die Türpfosten und -stürze ihrer Häuser gestrichen wurde, die Israeliten vor der zehnten Plage rettete. Wenn der Todesengel das Blut des Lammes sah, ging er an diesem Haus vorüber und verschonte seine Bewohner. Aber er tötete alle Erstgeborenen der Ägypter. Diese Plage zwang den Pharao, den Israeliten das Verlassen des Landes zu erlauben.

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In der jüdischen Kultur ist das Paschalamm untrennbar mit Gottes Errettung der Israeliten aus der Sklaverei in Ägypten verbunden. Indem er Jesus mit dem Paschalamm identifiziert, macht der Täufer deutlich, dass Jesus das wahre Paschalamm ist, dessen Blut uns vor dem geistigen Tod retten und einen neuen Exodus einleiten wird, der uns in unser verheißenes Land, den Himmel, führen wird.

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Das Alte Testament sagt jedoch an keiner Stelle, dass das Paschalamm unsere Sünde hinwegnehmen wird, wie Johannes der Täufer bekräftigte: „Seht, das Lamm Gottes, das die Sünde der Welt hinwegnimmt!“ (Joh 1, 29). Aber das Alte Testament erwähnt ein anderes Lamm, das dies tun wird: der leidende Gottesknecht, von dem Jesaja spricht.

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Er wurde bedrängt und misshandelt, / aber er tat seinen Mund nicht auf. Wie ein Lamm, das man zum Schlachten führt ...

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Doch der HERR hat Gefallen an dem von Krankheit Zermalmten. / Wenn du, Gott, sein Leben als Schuldopfer einsetzt,

wird er Nachkommen sehen und lange leben.

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Er hob die Sünden der Vielen auf / und trat für die Abtrünnigen ein. (Jes 53, 7.10.12)

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Tage 3 und 4 – Die ersten Jünger

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Unsere Aufmerksamkeit wird nun auf Jesus und seine ersten Jünger gelenkt.

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Jesus aber wandte sich um, und als er sah, dass sie ihm folgten, sagte er zu ihnen: Was sucht ihr? Sie sagten zu ihm: Rabbi - das heißt übersetzt: Meister -, wo wohnst du? Er sagte zu ihnen: Kommt und seht! Da kamen sie mit und sahen, wo er wohnte, und blieben jenen Tag bei ihm; es war um die zehnte Stunde. (1, 38-39)

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Was sucht ihr?“, „Wo wohnst du?“, „Es war ungefähr die zehnte Stunde.“ Man kann sicherlich viele kluge Überlegungen anstellen, was sich über diese Worte sagen ließe. Das ist gut und legitim. Da jedoch der geistige Sinn der Heiligen Schrift auf dem wörtlichen Sinn basiert, müssen wir zuerst den wörtlichen Sinn des Textes verstehen.

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Wir stellen uns Johannes den Täufer oft als eine Art Einsiedler vor, der allein in der Wüste lebte und Heuschrecken und wilden Honig aß. Aber das Evangelium macht deutlich, dass er etliche Anhänger hatte. Sie lebten wahrscheinlich mit ihm in der Wüste, empfingen seine Taufe der Buße und hörten seinen Lehren zu. Zwei von ihnen sind gerade bei ihm, als er Jesus als das Lamm Gottes bezeichnet. Wir erfahren, dass einer von ihnen Andreas ist, der Bruder des Petrus. Das Evangelium nennt den zweiten Jünger nicht, aber viele Exegeten glauben, dass es Johannes war, der Verfasser dieses Evangeliums.

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Nachdem sie das Zeugnis des Täufers gehört haben, folgen die beiden Jünger Jesus nach. Dies kann auf verschiedene Weise interpretiert werden. Einerseits könnte es bedeuten, dass die beiden Johannes verließen, um Anhänger Jesu zu werden. Aber die wörtliche Bedeutung des griechischen Textes besagt einfach, dass sie sich aufmachten, Jesus zu folgen. Jesus, der sie bemerkt, dreht sich um und fragt: „Was sucht ihr?“ Das heißt: Warum folgt ihr mir?

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Es ist interessant, dass die Jünger die Frage Jesu nicht beantworten. Stattdessen stellen sie eine weitere Frage: „Wo wohnst du?“ Johannes erwähnt, dass es ungefähr die zehnte Stunde war, also gegen 16 Uhr. Diese Information ist nicht nur schmückendes Beiwerk. Da es spät wurde, hätten die Jünger, wenn sie nicht zu Johannes zurückkehren wollten, schnell eine Unterkunft für die Nacht finden müssen. Sie fragten also, ob sie die Nacht mit Jesus verbringen könnten.

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Sie blieben an diesem Tag bei ihm.“ Das griechische Wort menó, hier übersetzt als ,übernachten', bedeutet wörtlich ,bleiben'. Es wird später im Evangelium ein wichtiges Wort sein.

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Wer mein Fleisch isst und mein Blut trinkt, der bleibt in mir und ich bleibe in ihm. (6, 56)

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Bleibt in mir und ich bleibe in euch. Wie die Rebe aus sich keine Frucht bringen kann, sondern nur, wenn sie am Weinstock bleibt, so auch ihr, wenn ihr nicht in mir bleibt. Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben. Wer in mir bleibt und in wem ich bleibe, der bringt reiche Frucht; denn getrennt von mir könnt ihr nichts vollbringen.  Wer nicht in mir bleibt, wird wie die Rebe weggeworfen und er verdorrt. Man sammelt die Reben, wirft sie ins Feuer und sie verbrennen. Wenn ihr in mir bleibt und meine Worte in euch bleiben, dann bittet um alles, was ihr wollt: Ihr werdet es erhalten. (15, 4-7)

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Der Text legt nahe, dass Andreas am nächsten Tag seinen Bruder Simon suchte.

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Andreas, der Bruder des Simon Petrus, war einer der beiden, die das Wort des Johannes gehört hatten und Jesus gefolgt waren. Dieser traf zuerst seinen Bruder Simon und sagte zu ihm: Wir haben den Messias gefunden – das heißt übersetzt: Christus. Er führte ihn zu Jesus. Jesus blickte ihn an und sagte: Du bist Simon, der Sohn des Johannes, du sollst Kephas heißen, das bedeutet: Petrus, Fels.  (1, 40-42)

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Jesus sagt zu Simon: „Du sollst Kephas heißen.“ Das Wort cephas bedeutet auf Aramäisch ,Fels'. Dieser Vers ist sehr wichtig, weil er uns hilft zu verstehen, was Jesus in Mt 16, 18 meint, als er sagt: „​Du bist Petrus und auf diesen Felsen werde ich meine Kirche bauen." Protestanten behaupten, dass sich ,der Fels' auf das Bekenntnis des Petrus beziehe, auf seine Erklärung, dass Jesus der Christus sei, der Sohn des lebendigen Gottes. Aber im Johannes-Evangelium nennt Jesus ihn Petrus, noch bevor er dieses Bekenntnis ablegt. Dies bedeutet, dass Petrus selbst der Fels in der Brandung sein muss.

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Wer waren Simon und Andreas? Aus den synoptischen Evangelien wissen wir, dass es sich um Fischer aus Galiläa handelte. Aber als Jesus ihnen zum ersten Mal begegnete, waren sie bei Johannes dem Täufer in Judäa. Das bedeutet, dass sie religiöse Juden gewesen sein müssen, die aktiv nach dem Messias suchten. Deshalb hatten sie ihre Heimat verlassen, um Jünger des Täufers zu werden.

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In den synoptischen Evangelien hat man den Eindruck, als hätte Jesus sie aus heiterem Himmel berufen. Das heißt, als wäre er eines Tages vorbeigekommen, hätte sie zum ersten Mal gesehen und eingeladen, ihm zu folgen. Aber eine genauere Lektüre zeigt, dass dies nicht der Fall war. Wenn wir Johannes und die Synoptiker zusammen lesen, erhalten wir ein vollständigeres Bild. Ihre Berufung war wahrscheinlich ein sich hinziehender Prozess, der sich über mehrere Monate erstreckte. Der Text im Johannes-Evangelium beschreibt ihre erste Begegnung mit Jesus in Judäa. Sie machten sich auf, ihm zu folgen, und begleiteten ihn in bestimmten Momenten (z. B. bei der Hochzeit in Kana). Dies wird einige Zeit gedauert haben, denn wir sehen sie zusammen herumwandern.

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Am Tag darauf wollte Jesus nach Galiläa aufbrechen ... (1, 43)

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Danach [Reinigung des Tempels] zog er mit seiner Mutter, seinen Brüdern und seinen Jüngern nach Kafarnaum hinab. Dort blieben sie einige Zeit. (2, 12)

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Darauf kam Jesus mit seinen Jüngern nach Judäa. (3, 22)

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Aber schließlich verließen sie Jesus, um nach Hause zurückzukehren und ihr Leben als Fischer fortzusetzen. Erst nach der Verhaftung Johannes des Täufers (vgl. Mk 1, 14) und dem wunderbaren Fischfang (vgl. Lk 5) rief Jesus sie auf, ihre Netze endgültig hinter sich zu lassen und ihm nachzufolgen.

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Tag 5 – Jesus beruft Philippus und Natanaël

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Am Tag darauf wollte Jesus nach Galiläa aufbrechen; da traf er Philippus. Und Jesus sagte zu ihm: Folge mir nach! Philippus war aus Betsaida, der Stadt des Andreas und Petrus. Philippus traf Natanaël und sagte zu ihm: Wir haben den gefunden, über den Mose im Gesetz und auch die Propheten geschrieben haben: Jesus, den Sohn Josefs, aus Nazaret. Da sagte Natanaël zu ihm: Kann aus Nazaret etwas Gutes kommen? Philippus sagte zu ihm: Komm und sieh!  (1, 43-46)

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Haben in den vorangegangenen zwei Tagen die Jünger die Initiative ergriffen und sind Jesus nachgefolgt, so ergreift nun Jesus die Initiative und beruft Philippus. Daraufhin legt Philippus Zeugnis für Jesus ab, indem er Natanaël einlädt, zu kommen und zu sehen, so wie Jesus es mit den ersten beiden Jüngern getan hatte. Diese Episode zeigt, wie wichtig es im Leben der Kirche ist, Zeugnis abzulegen. Die Nachfolger Jesu müssen anderen Zeugnis von ihm geben und sie einladen, Jesus kennenzulernen. Diese werden wiederum seine Jünger werden und den Prozess ihrerseits wiederholen.

 

Nazaret war nur ein kleines Dorf, so klein, dass es im Alten Testament nie erwähnt wird und nicht einmal auf den Karten der Zeit erschien. Es muss keinen guten Ruf gehabt haben, da es anscheinend selbst von anderen Galiläern verachtet wurde.

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Jesus sah Natanaël auf sich zukommen und sagte über ihn: Sieh, ein echter Israelit, an dem kein Falsch ist. Natanaël sagte zu ihm: Woher kennst du mich? Jesus antwortete ihm: Schon bevor dich Philippus rief, habe ich dich unter dem Feigenbaum gesehen. Natanaël antwortete ihm: Rabbi, du bist der Sohn Gottes, du bist der König von Israel! Jesus antwortete ihm: Du glaubst, weil ich dir sagte, dass ich dich unter dem Feigenbaum sah; du wirst noch Größeres als dieses sehen. (1, 47-50)

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Als Jesus zu Natanaël sagt, dass er ihn unter dem Feigenbaum gesehen habe, antwortet dieser: „Rabbi, du bist der Sohn Gottes! Du bist der König von Israel!“ Diese Antwort ist seltsam und scheint nicht in die Situation zu passen. Alles, was Jesus sagte, war, dass er ihn unter dem Feigenbaum hatte sitzen sehen. Warum sollte dies ein so starkes Glaubensbekenntnis bei Natanaël provozieren, der Jesus nicht einmal kannte?

 

Einige Exegeten vermuten, dass Natanaël in der Antwort Jesu etwas Übernatürliches gesehen habe, und dies hätte ihn dazu gebracht, dieses Glaubensbekenntnis abzulegen. Andere dagegen meinen, dass der Schlüssel für diese Antwort im Alten Testament liege. Der Name Nazaret leitet sich vom hebräischen Wort nétzer ab, was ,Reis’, ,Spross' bedeutet. Die Exegeten nehmen nun an, dass dieses Wort den Text mit mehreren Prophezeiungen aus dem Alten Testament in Verbindung bringen könnte, die vom zukünftigen Messias sprechen und ihn ,Spross' nennen.

 

Höre, Hohepriester Jehoschua: Du und deine Gefährten, die vor dir sitzen, ihr seid Männer, die als Wahrzeichen dienen: Denn siehe, ich will meinen Knecht kommen lassen, den Spross. Ja, siehe, der Stein, den ich vor Jehoschua hingelegt habe – auf diesem einen Stein sind sieben Augen –, siehe, ich ritze in ihn eine Inschrift ein – Spruch des HERRN der Heerscharen – und ich tilge die Schuld dieses Landes an einem einzigen Tag. An jenem Tag – Spruch des HERRN der Heerscharen – werdet ihr einander einladen unter Weinstock und Feigenbaum. (Sach 3, 8-10)

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Das Wort des HERRN erging an mich: Nimm von denen, die aus dem Exil heimkehren, von Heldai, Tobija und Jedaja, entgegen und komm selbst an diesem Tag, komm in das Haus Joschijas, des Sohnes Zefanjas, die aus Babel zurückgekommen sind: Nimm Silber und Gold, mach eine Krone, setze sie dem Hohepriester Jehoschua, dem Sohn des Jozadak, aufs Haupt und sag zu ihm: So spricht der HERR der Heerscharen: Sieh da, ein Mann, Spross ist sein Name; von dort, wo er steht, wird es sprossen und er wird den Tempel des HERRN bauen. Er ist es, der den Tempel des HERRN bauen wird. Er ist mit Hoheit bekleidet und wird auf seinem Thron sitzen und herrschen. (Sach 6, 9-13)

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Doch aus dem Baumstumpf Isais wächst ein Reis hervor, / ein junger Trieb aus seinen Wurzeln bringt Frucht. (Jes 11, 1)

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Isai war der Vater von König David, und der ,Baumstumpf Isais' ist ein biblisches Bild, das Jesaja verwendete, um sich auf das wiederhergestellte davidische Königreich nach dem babylonischen Exil zu beziehen. Er prophezeite, dass das davidische Königreich zerstört werde, weil das Volk Gottes Bund gebrochen hatte. Gott wird es daher fällen wie einen Baum. Aber nicht alles ist verloren. Jesaja sah, dass aus dem scheinbar toten Stumpf ein neuer Zweig wachsen würde. Seine Prophezeiung kündigt die Wiederherstellung des Königreichs an.

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Nach Sacharja wird dieser Spross/Messias ein König sein, der den Tempel wieder errichten wird, und in jener Zeit wird jeder seinen Nächsten unter seinen Feigenbaum einladen. Die Parallelen zwischen diesen Prophezeiungen und dem Dialog zwischen Jesus und Natanaël sind frappierend. Wenn Natanaël ein wahrer Israelit war, in dem es keine Falschheit gab, wie Jesus sagt, dann war er sicherlich mit diesen Prophezeiungen vertraut und erkannte die Anspielungen. Diese Tatsache und Philippus Zeugnis über Jesus brachten ihn dazu, sein Glaubensbekenntnis abzulegen, über das Jesus sagte:

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Du glaubst, weil ich dir sagte, dass ich dich unter dem Feigenbaum sah; du wirst noch Größeres als dieses sehen. Und er sprach zu ihm: Amen, amen, ich sage euch: Ihr werdet den Himmel geöffnet und die Engel Gottes auf- und niedersteigen sehen über dem Menschensohn. (1, 50-51)

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Diese Antwort Jesu erinnert an weitere Texte im Alten Testament.

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Da hatte er einen Traum: Siehe, eine Treppe stand auf der Erde, ihre Spitze reichte bis zum Himmel. Und siehe: Auf ihr stiegen Engel Gottes auf und nieder. (Gen 28, 12)

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Jesus ist die Leiter, die Himmel und Erde vereint. Er ist auch der Menschensohn, der in Daniel 7, 13 erwähnt wird.

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Immer noch hatte ich die nächtlichen Visionen: Da kam mit den Wolken des Himmels / einer wie ein Menschensohn. Er gelangte bis zu dem Hochbetagten / und wurde vor ihn geführt.

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Tag 7 – Die Hochzeit zu Kana

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Wenn wir den Text analysieren, der die Hochzeit zu Kana beschreibt, so können wir viele Bedeutungsebenen entdecken. Tatsächlich ist der Text so bedeutungsvoll, dass man ein ganzes Buch darüber schreiben könnte. Zum Beispiel stellt Johannes Jesus als den Bräutigam eines neuen Ehebundes zwischen Gott und den Menschen vor. Und die Hochzeit zu Kana ist auch eine Schlüsselstelle für unser theologisches Verständnis von Maria. Obwohl diese Themen wichtig sind, werden wir sie an dieser Stelle nicht diskutieren. Wir werden stattdessen den wörtlichen Sinn des Textes betrachten, um die Szene zu verstehen, und dann einige ihrer typologischen Beziehungen zum Alten Testament hervorheben.

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Am dritten Tag fand in Kana in Galiläa eine Hochzeit statt und die Mutter Jesu war dabei. Auch Jesus und seine Jünger waren zur Hochzeit eingeladen. Als der Wein ausging, sagte die Mutter Jesu zu ihm: Sie haben keinen Wein mehr. Jesus erwiderte ihr: Was willst du von mir, Frau? Meine Stunde ist noch nicht gekommen. Seine Mutter sagte zu den Dienern: Was er euch sagt, das tut! (2, 1-5)

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Zur Zeit Jesu konnten jüdische Hochzeitsfeiern bis zu sieben Tage dauern. Familie und Freunde kamen zusammen, um die Vereinigung von Mann und Frau zu feiern. Es lag in der Verantwortung des Bräutigams, für die Gäste zu sorgen. Wenn der Wein ausgegangen wäre, so wäre eine große Peinlichkeit gewesen, die den Ruf der Familie auf Jahre befleckt hätte.

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Maria bemerkt dieses Problem, und um zu helfen, macht sie Jesus darauf aufmerksam: „Sie haben keinen Wein mehr. Sie stellt einfach die Not fest, aber wir können davon ausgehen, dass sie annahm, dass Jesus eine Lösung finden würde, obwohl sie ihn nicht ausdrücklich darum bittet. Ein Bedürfnis aufzuzeigen, eine schlichte Anfrage zu stellen, ist eine sehr weibliche Art. Die Tatsache, dass Maria dann die Diener anweist, alles zu tun, was Jesus sagt, deutet darauf hin, dass sie damit rechnet, dass Jesus etwas unternehmen wird.

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Die Antwort Jesu ist für uns vermutlich schwer verständlich. Erstens scheint es, als würde er seine Mutter tadeln. Aber seine Antwort war nicht so hart, wie sie für uns klingt. Moderne Übersetzungen des Textes betonen manchmal diese scheinbare Härte. Zum Beispiel heißt es in der Luther Übersetzung: "Was geht's dich an, Frau, was ich tue?“ Das klingt für uns, als würde Jesus seine Mutter zurückweisen. Der ursprüngliche griechische Ausdruck ist milder und bedeutet wörtlich: „Was [ist] mir und dir?“ Dies klingt eher so, als wenn Jesus sagen wollte: Wie betrifft uns diese Situation?

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Warum hat sich Maria eingeschaltet? Die Tatsache, dass Jesus, seine Mutter und seine Jünger eingeladen waren, deutet darauf hin, dass es sich um die Hochzeit eines Verwandten oder engen Freundes handelte. Dies könnte Marias Besorgnis und ihren Wunsch zu helfen erklären. Aber trotzdem ist die Frage Jesu berechtigt, weil sie schließlich nur Gäste waren. Es war nicht ihr Problem! Seine Antwort impliziert daher schon eine gewisse Distanz gegenüber Marias Bitte, doch sollten wir sie nicht als uneingeschränkte Ablehnung betrachten, geschweige denn als Zurechtweisung. Am Ende tat er, was sie erwartet hatte.

 

Was könnte Jesus veranlasst haben, seiner Mutter mit einer Frage zu antworten? Der zweite Teil seiner Entgegnung könnte dies erklären. Jesus erwidert, seine Stunde sei noch nicht gekommen. Im Evangelium bezieht sich Stunde Jesu immer auf den Moment seines Leidens und seines Todes. Aber warum sollte er dies an dieser Stelle zur Sprache bringen? Seine Antwort scheint nichts mit Marias Bitte zu tun zu haben. Alles, was sie festgestellt hatte, war, dass es keinen Wein mehr gibt, was implizierte, dass er die Situation in Ordnung sollte. Aber er hält dagegen, dass seine Zeit zum Sterben noch nicht gekommen sei. Diese Antwort ist sehr seltsam, es sei denn, Jesus hätte die Bitte Marias irgendwie mit seinem Tod in Verbindung gebracht. Warum und wie könnte das sein?

 

Wie üblich, finden wir die Antwort auf dieses Rätsel, wenn wir die Evangelien im Lichte des Alten Testaments lesen. Dort beschreibt der Prophet Jesaja eine andere Situation, in der der Wein ebenfalls ausgegangen ist.

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Der Most ist vertrocknet, der Weinstock verkümmert, / es seufzen alle, die freudigen Herzens waren. … Beim Gesang trinkt man keinen Wein mehr, / … Klagegeschrei um den Wein in den Gassen! / Verschwunden ist jede Freude, / vertrieben wurde der Jubel der Erde. (Jes 24, 7.9.11)

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Jesaja sagt weiter, dass der Herr selbst eines Tages Wein kredenzen werde. Dieses Fest wurde später als messianisches Festmahl bezeichnet.

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Der HERR der Heerscharen wird auf diesem Berg / für alle Völker ein Festmahl geben mit den feinsten Speisen, / ein Gelage mit erlesenen Weinen, mit den feinsten, fetten Speisen, / mit erlesenen, reinen Weinen. Er verschlingt auf diesem Berg die Hülle, die alle Völker verhüllt, / und die Decke, die alle Nationen bedeckt. Er hat den Tod für immer verschlungen / und GOTT, der Herr, wird die Tränen von jedem Gesicht abwischen und die Schande seines Volkes entfernt er von der ganzen Erde, / denn der HERR hat gesprochen. (Jes 25, 6-8)

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Es ist nicht klar, ob Maria dies im Sinn hatte, als sie ihre Bitte äußerte, da wir nicht genügend Informationen erhalten, um dies sicher zu wissen. Einerseits müssen wir nicht davon ausgehen, dass sie ein Wunder erwartete. Alles, was sie sich gewünscht haben mag, war, dass Jesus eine natürliche Lösung finden möge. Auf der anderen Seite legt die katholische Tradition über Maria nahe, dass sie von dieser Prophezeiung gewusst haben könnte. Nach der Überlieferung wuchs sie im Tempel auf, studierte dort die Heilige Schrift und war voller Gnade. Außerdem ist es schwer vorstellbar, dass sie während der 30 Jahre, die sie mit Jesus zusammen lebte, nie mit ihm über diese Dinge gesprochen haben sollte.

 

Was auch immer der Grund für Maria gewesen sein mag, die Antwort Jesu deutet darauf hin, dass er ihre Bitte so interpretiert hat. Aber dann, trotz seiner Zurückhaltung, erfüllt er ihren Wunsch, indem er das Wunder vollbringt.

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Es standen dort sechs steinerne Wasserkrüge, wie es der Reinigungssitte der Juden entsprach; jeder fasste ungefähr hundert Liter. Jesus sagte zu den Dienern: Füllt die Krüge mit Wasser! Und sie füllten sie bis zum Rand. Er sagte zu ihnen: Schöpft jetzt und bringt es dem, der für das Festmahl verantwortlich ist! Sie brachten es ihm. Dieser kostete das Wasser, das zu Wein geworden war. Er wusste nicht, woher der Wein kam; die Diener aber, die das Wasser geschöpft hatten, wussten es. Da ließ er den Bräutigam rufen und sagte zu ihm: Jeder setzt zuerst den guten Wein vor und erst, wenn die Gäste zu viel getrunken haben, den weniger guten. Du jedoch hast den guten Wein bis jetzt aufbewahrt. (2 ,6-10)

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Es ist bemerkenswert, dass Jesus nicht nur genügend Wein zur Verfügung stellte, um das Problem des Bräutigams zu lösen. Er stellte ihn in überreichem Maße zur Verfügung. Die 455 bis 680 Liter hätten die Bedürfnisse der Gäste einer kleinen Landhochzeit mehr als befriedigt. Er offerierte auch nicht nur irgendeinen Wein, er lieferte den besten Wein. Diese beiden Tatsachen sind von Bedeutung.

 

Diejenigen, die Augen hatten zu sehen, konnte dieses Wunder an andere alttestamentliche Prophezeiungen erinnern, die besagen, dass Gott im künftigen Zeitalter der Erlösung eine Fülle von süßem Wein zur Verfügung stellen würde.

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An jenem Tag richte ich die zerfallene Hütte Davids wieder auf … Seht, es kommen Tage / – Spruch des HERRN –, da folgt der Pflüger dem Schnitter auf dem Fuß / und der Keltertreter dem Sämann; da triefen die Berge von Wein / und alle Hügel fließen über. (Am 9, 11.13)

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Und es wird geschehen an jenem Tag: Da triefen die Berge von Wein, … und in allen Bächen Judas strömt Wasser. Eine Quelle entspringt im Haus des HERRN. (Joël 3, 18)

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Brant Pitre zeigt in seinem Buch Jesus, der Bräutigam auf, wie außenbiblische jüdische Traditionen auch die Erwartung zum Ausdruck bringen, dass der Messias auf wundersame Weise reichlich Wein kredenzen würde:

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Und ... alsdann wird der Messias anfangen, sich zu offenbaren ... Auch wird die Erde ihre Frucht zehntausendfältig geben; und an einem Weinstock werden tausend Ranken sein, und eine Ranke wird tausend Trauben tragen, und eine Traube wird tausend Beeren tragen und eine Beere wird ein Kor Wein bringen.  (2 Bar 29, 3.5; nach Emil Kautzsch, Apokryphen und Pseudepigraphen des Alten Testaments, Bd. 2, Darmstadt, S. 422f.)

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Brant Pitre fährt fort

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Wenn das Wunder Jesu im Lichte dieser alten jüdischen Erwartungen an den überreichen Wein des Festmahls Gottes und der alten jüdischen Hoffnungen für die Zukunft interpretiert wird, können wir sehen, dass Jesus durch die Bereitstellung von Hunderten von Gallonen Wein für diese kleine Landhochzeit in Kana für diejenigen signalisiert, die Augen haben zu sehen, dass sich die alte jüdische Hoffnung auf den überreichen Wein des Zeitalters der Erlösung in ihm selbst zu erfüllen beginnt. (Brant Pitre, Jesus der Bräutigam, Image, New York, 2014, S. 43)

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Weitere Verbindungen zum Alten Testament

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Es ist kein Zufall, dass die erste Woche des öffentlichen Wirkens Jesu in einer Hochzeit gipfelt. Auf diese Weise verbindet Johannes seine Geschichte über Jesus mit der Schöpfung und den Exodusereignissen des Alten Testaments.  Auch die Heilsgeschichte begann mit einer Hochzeit, die am siebten Schöpfungstag stattfand.

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Da ließ Gott, der HERR, einen tiefen Schlaf auf den Menschen fallen, sodass er einschlief, nahm eine seiner Rippen und verschloss ihre Stelle mit Fleisch. Gott, der HERR, baute aus der Rippe, die er vom Menschen genommen hatte, eine Frau und führte sie dem Menschen zu. Und der Mensch sprach: Das endlich ist Bein von meinem Bein / und Fleisch von meinem Fleisch. Frau soll sie genannt werden; / denn vom Mann ist sie genommen. Darum verlässt der Mann Vater und Mutter und hängt seiner Frau an und sie werden ein Fleisch.  (Gen 2, 21-24)

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Und die Bibel beschreibt auch Gottes Bund mit Israel, der auf dem Berg Sinai geschlossen wurde, als Hochzeit.

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Und du [Israel] bist herangewachsen, bist groß geworden und herrlich aufgeblüht … Da kam ich [der HERR] an dir vorüber und sah dich und siehe, deine Zeit war da, die Zeit der Liebe. Ich breitete den Saum meines Gewandes über dich und bedeckte deine Blöße. Ich leistete dir den Eid und ging mit dir einen Bund ein - Spruch GOTTES, des Herrn - und du wurdest mein. … Ich schmückte dich mit Schmuck, legte dir Spangen an die Arme … Ich gab einen Ring an deine Nase, Ohrringe an deine Ohren und eine herrliche Krone auf dein Haupt. (Ez 16, 7-12)

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Als der Wein ausging, sagte die Mutter Jesu zu ihm: Sie haben keinen Wein mehr. Jesus erwiderte ihr: Was willst du von mir, Frau? Meine Stunde ist noch nicht gekommen. (Joh 2, 3-4)

 

In dieser Lerneinheit haben wir die Bilder und das Vokabular betrachtet, die Johannes aus den alttestamentlichen Schöpfung- und Exodusberichten übernommen hat. Diese Anspielungen funktionieren wie Hinweise, die es uns ermöglichen, Jesus als den neuen Adam zu identifizieren, der eine neue Schöpfung hervorbringt, in der wir Söhne [und Töchter] Gottes werden können. Er ist auch der neue Mose, der uns auf einen neuen Exodus führt in das verheißene Land des Himmels.

 

Aber das erste Kapitel enthält auch Bilder und Ausdrücke, mit denen das davidische Königreich im Alten Testament beschrieben wird. Zum Beispiel das Wort ,Christus'. Andreas sagt zu seinem Bruder Simon: „Wir haben den Messias gefunden – das heißt übersetzt: Christus" (1, 41).

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Christus ist nicht der zweite Name Jesu. Es ist die griechische Übersetzung des hebräischen Wortes mashiach, was ,Messias' oder der ,Gesalbte' bedeutet. Es handelt sich also um einen Titel. Im Alten Testament bezieht sich dieser Titel speziell auf David und die nach ihm kommenden Könige seines Hauses. Die Juden glaubten, dass die Könige Gottes Vasallen oder Stellvertreter auf Erden waren. Die Heiden hingegen vergöttlichten ihre Könige häufig. Denken Sie an den römischen Cäsar, der als Gott verehrt wurde. Die jüdischen Könige wurden ,Gesalbte' genannt, weil sie mit Öl gesalbt wurden. So lesen wir in 1 Samuel 16, 13 über die Salbung Davids:

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Samuel nahm das Horn mit dem Öl und salbte David mitten unter seinen Brüdern. Und der Geist des HERRN war über David von diesem Tag an.

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Sein Sohn Salomo wurde ebenfalls gesalbt, als er König wurde, ebenso wie sein Enkel Rehabeam nach diesem. Das setzte sich bis zum letzten König fort. Die Salbung war ein Zeichen dafür, dass der König seine Autorität von Gott erhalten hatte und dass er nicht göttlich war.

 

König sein und Messias sein sind miteinander verbunden. Jesus ist der Messias, weil er der König Israels ist, wie Natanaël verkündet. Jesus wurde gesalbt, nicht mit Öl, sondern mit dem Heiligen Geist. Johannes der Täufer wurde dazu gesandt, um davon Zeugnis abzulegen. Und Johannes bezeugte: „Ich sah, dass der Geist vom Himmel herabkam wie eine Taube und auf ihm blieb" (1, 32). 

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Dem Evangelisten Johannes liegt sehr daran, uns in diesen ersten Kapiteln zu zeigen, wie die Schöpfung, der Exodus und das davidische Königreich in Jesus erfüllt wurden. Das ganze Alte Testament ist wichtig, aber diese drei Ereignisse sind die wichtigsten, die vor dem Kommen Jesu stattgefunden hatten.

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Aufgaben

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  • Erklären Sie, wie der Evangelist Johannes den Beginn des Wirkens Jesu innerhalb eines Zeitraums von sieben Tagen strukturiert hat.

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  • Beschreiben Sie die wichtigsten Ereignisse, die sich an jedem Tag dieser ersten Woche ereigneten.

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  • Erklären Sie, wie Jesu erstes Wunder während der Hochzeit zu Kana den Beginn des messianischen Zeitalters der Erlösung ankündigt.

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