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Lektion 4

Drei Motive

Icon of the Baptism of the Lord

Übersicht

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In der Literatur versteht man unter einem Motiv ein wiederkehrendes Bild, einen Gedanken oder ein Symbol, das die Hauptthemen und den tieferen Sinn einer Geschichte entwickelt oder erklärt. In dieser Lerneinheit werden wir drei wichtige biblische Motive betrachten, die das erste Mal in Genesis Kapitel 1 bis 11 vorkommen. Es handelt sich um die Motive ‚Wasser und Wind‘, ‚Exil‘ und ‚Antlitz Gottes‘. Diese Motive helfen uns, das biblische Hauptthema – unsere Erlösung – besser zu verstehen. Durch die Erlösungstat Jesu  –  seinen Tod am Kreuz – werden wir durch den heiligen Geist und das Taufwasser neu erschaffen. So können wir unser Exil beenden und nach Hause zurückkehren, wo wir wieder in Gottes Gegenwart leben und ihn von Angesicht zu Angesicht sehen werden.

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Lernziele

 

Sie werden diese Lerneinheit erfolgreich beendet haben, wenn Sie

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  • die biblischen Motive ‚Wasser und Wind‘, ‚Exil‘ und ‚Angesicht Gottes‘ beschreiben und interpretieren können.

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Einführung

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In der Lektion über die Krise sahen wir, dass Genesis 1 bis 11 mit einem Cliffhanger endet. Obwohl Gott die Erde nach der Sintflut neu erschuf, war die Sünde nicht ausgerottet. Im Gegenteil, sie verbreitete sich immer mehr, bis sie die ganze Welt beherrschte. Alles schien in die falsche Richtung zu laufen. Gab es eine Hoffnung für die Menschheit? Wie würde Gott diese Situation lösen?

 

Der einzige Hoffnungsschimmer ist diese seltsame Prophezeiung über eine Frau und ihren Nachkommen, der den Kopf der Schlange zertreten ​wird. Als Christen wissen wir, dass diese Prophezeiung von unserem Erlöser, Jesus Christus, spricht.

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Denn Gott hat seinen Sohn nicht in die Welt gesandt, damit er die Welt richtet, sondern damit die Welt durch ihn gerettet wird. (Joh 3, 17)

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Er will uns retten, indem er für uns am Kreuz stirbt! Die Erlösung, die er für uns erringen wird, ist das zentrale Thema der Bibel. Im Moment jedoch – nach den ersten elf Kapiteln – ist davon noch nichts zu erkennen. Allerdings finden sich in diesen Kapiteln verschiedene Motive, die eine wichtige Rolle in der Heilsgeschichte spielen und im weiteren Verlauf der Erzählung zum Verständnis der Art unserer Erlösung beitragen.

 

Erinnern Sie sich an das, was wir in dem Kurs über das Bibel-Lesen gelernt haben! In der Literaturwissenschaft ist ein Motiv ein wiederkehrendes Bild, ein Gedanke oder ein Symbol, das die Hauptthemen und den tieferen Sinn einer Geschichte entwickelt oder erklärt. Da Motive in einer Erzählung wiederholt vorkommen, kann man sie leicht erkennen. Sie erschließen dem Leser, wovon der Autor spricht, allerdings auf eine indirekte Weise, was den Leser nötigt, innezuhalten und Fragen zu stellen. So können Autoren ihre Botschaft eindringlicher und tiefer vermitteln. Wir erkennen Motive, indem wir auf Wiederholungen von Schlüsselwörtern, Bildern und Gedanken achten. Drei bedeutende Motive, die gewissermaßen in der Einleitung zur Heilsgeschichte stehen, sind ‚Wasser und Wind‘, ‚Exil‘ und ‚Angesicht Gottes‘.

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Das Motiv ‚Wasser und Wind‘

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Schon bei der Erschaffung der Welt taucht das Motiv ,Wasser und Wind' auf. So heißt es im zweiten Vers der Bibel:

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Die Erde war wüst und wirr und Finsternis lag über der Urflut und Gottes Geist [oder Wind] schwebte über dem Wasser. (Gen 1, 2)

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Um das besser zu verstehen, muss man wissen, dass das Wort ruach im Hebräischen sowohl ‚Wind‘ als auch ‚Geist‘ bedeuten kann. Manche übersetzen den Vers mit ‚Geist‘ statt ‚Wind‘. Beide Elemente kommen auch in der Erzählung von Noach und der Sintflut vor.

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Da gedachte Gott des Noach sowie aller Tiere und allen Viehs, die bei ihm in der Arche waren. Gott ließ einen Wind über die Erde wehen und das Wasser sank. (Gen 8, 1)

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​Dank dieser Wiederholung können wir die Sintflut eher als ein Schöpfungswirken denn als eine Strafe Gottes erkennen. Gottes Antwort auf die Ausbreitung der Sünde ist, die Welt zunächst in ihren ursprünglichen Zustand des Chaos zurückzuverwandeln, ehe er sie neu erschafft. Wasser und Wind kommen in der ganzen Heilsgeschichte vor, so zum Beispiel im Buch Exodus:

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Mose streckte seine Hand über das Meer aus und der HERR trieb die ganze Nacht das Meer durch einen starken Ostwind fort. Er ließ das Meer austrocknen und das Wasser spaltete sich. Die Israeliten zogen auf trockenem Boden ins Meer hinein, während rechts und links von ihnen das Wasser wie eine Mauer stand. (Ex 14, 21-22)

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Dieser Text schildert Israels Durchzug durch das Rote Meer auf der Flucht vor den ägyptischen Streitkräften. Dieses Ereignis war eine Neu-Schöpfung anderer Art. Die Israeliten waren vor dem Durchzug Sklaven in Ägypten gewesen, nach dem Durchzug wurden sie zu einem neuen Volk: zum Volk Gottes.

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Das Alte Testament beschreibt viele rituelle Waschungen – auch vor dem Gebet. Zum Beispiel mussten die Priester ihre Hände und Füße vor dem Betreten des Tempels waschen.

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Verfertige ein Becken aus Kupfer und ein Gestell aus Kupfer für die Waschungen und stell es zwischen das Offenbarungszelt und den Altar; dann füll Wasser ein! Aaron und seine Söhne sollen darin ihre Hände und Füße waschen. Wenn sie ins Offenbarungszelt eintreten, sollen sie sich mit Wasser waschen, damit sie nicht sterben. (Ex 30, 18-20)

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Und die Besprengung mit Wasser war Teil des Weiherituals für die Leviten.

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Und der HERR sagte zu Moses: ​Nimm die Leviten aus der Mitte der Israeliten und reinige sie! So sollst du ihre Reinigung vollziehen: Spreng über sie das Entsündigungswasser! Sie selbst sollen sich an ihrem ganzen Körper mit einem Schermesser die Haare schneiden, ihre Kleider waschen und sich reinigen. (Num 8, 5-7)

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Naaman wurde von seinem Aussatz gereinigt, indem er siebenmal im Jordan untertauchte.

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So ging er also zum Jordan hinab und tauchte siebenmal unter, wie ihm der Gottesmann befohlen hatte. Da wurde sein Leib gesund wie der Leib eines Kindes und er war rein. (2 Kön 5, 14)

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​Und der Prophet Ezechiel sagt, Gott werde Israel erneuern und es reinigen durch die Besprengung mit sauberem

Wasser.

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Darum sag zum Haus Israel: So spricht GOTT, der Herr: Nicht euretwegen handle ich, Haus Israel, sondern um meines heiligen Namens willen, den ihr bei den Nationen entweiht habt, wohin ihr auch gekommen seid. Meinen großen, bei den Nationen entweihten Namen, den ihr mitten unter ihnen entweiht habt, werde ich wieder heiligen. Und die Nationen – Spruch GOTTES, des Herrn – werden erkennen, dass ich der HERR bin, wenn ich mich an euch vor ihren Augen als heilig erweise. Ich nehme euch heraus aus den Nationen, ich sammle euch aus allen Ländern und ich bringe euch zu eurem Ackerboden. Ich gieße reines Wasser über euch aus, dann werdet ihr rein. Ich reinige euch von aller Unreinheit und von allen euren Götzen. Ich gebe euch ein neues Herz und einen neuen Geist gebe ich in euer Inneres. Ich beseitige das Herz von Stein aus eurem Fleisch und gebe euch ein Herz von Fleisch. Ich gebe meinen Geist in euer Inneres und bewirke, dass ihr meinen Gesetzen folgt und auf meine Rechtsentscheide achtet und sie erfüllt. (Ez 36, 22-27)

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Im Neuen Testament spricht Johannes in seinem Evangelium ebenfalls von Wasser und Wind.

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Jesus antwortete ihm: Amen, amen, ich sage dir: Wenn jemand nicht von oben geboren wird, kann er das Reich Gottes nicht sehen. Nikodemus entgegnete ihm: Wie kann ein Mensch, der schon alt ist, geboren werden? Kann er etwa in den Schoß seiner Mutter zurückkehren und noch einmal geboren werden? Jesus antwortete: Amen, amen, ich sage dir: Wenn jemand nicht aus dem Wasser und dem Geist geboren wird, kann er nicht in das Reich Gottes kommen. Was aus dem Fleisch geboren ist, das ist Fleisch; was aber aus dem Geist geboren ist, das ist Geist. Wundere dich nicht, dass ich dir sagte: Ihr müsst von oben geboren werden. Der Wind weht, wo er will; du hörst sein Brausen, weißt aber nicht, woher er kommt und wohin er geht. So ist es mit jedem, der aus dem Geist geboren ist. (Joh 3, 3-8)

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Jesus bezieht sich hier auf unsere Taufe. So wie Israel aus der Sklaverei in Ägypten befreit wurde, als es durch windgepeitschtes Wasser zog, so werden auch wir aus der Sklaverei der Sünde befreit durch das geisterfüllte Wasser der Taufe.

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Dem hl. Apostel Paulus zufolge wird der Gläubige durch die Taufe in den Tod Christi hineingenommen; er wird mit ihm begraben und mit ihm auferstehen.

 

„Wißt ihr denn nicht, daß wir alle, die wir auf Christus Jesus getauft wurden, auf seinen Tod getauft worden sind? Wir wurden mit ihm begraben durch die Taufe auf den Tod; und wie Christus durch die Herrlichkeit des Vaters von den Toten auferweckt wurde, so sollen auch wir als neue Menschen leben" (Röm 6, 3-4).

 

Die Gläubigen haben „Christus [als Gewand] angelegt". Kraft des Heiligen Geistes ist die Taufe ein Bad, das reinigt, heiligt und gerecht macht. (KKK 1227)

 

Das Motiv von ‚Wasser und Wind‘ lässt uns verstehen, wie Gott uns retten will. Unsere Erlösung wird ein spirituelles Bad sein, das uns von unseren Sünden reinigt. Wir werden mit Christus sterben, indem wir in das geisterfüllte Wasser unserer Taufe hinabsteigen, um als neue Geschöpfe wiedergeboren zu werden, wenn wir aus dem Wasser heraufsteigen. Dadurch sind wir eine neue Schöpfung.

 

 

Das Motiv ‚Exil‘

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Ein weiteres Motiv gleich zu Beginn des Schöpfungsberichts lautet ‚Exil‘. Weil Adam und Eva sündigten, wurden sie aus dem Paradies ins Exil vertrieben.

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Dann sprach Gott, der HERR: Siehe, der Mensch ist wie einer von uns geworden, dass er Gut und Böse erkennt. Aber jetzt soll er nicht seine Hand ausstrecken, um auch noch vom Baum des Lebens zu nehmen, davon zu essen und ewig zu leben. Da schickte Gott, der HERR, ihn aus dem Garten Eden weg, damit er den Erdboden bearbeite, von dem er genommen war. Er vertrieb den Menschen und ließ östlich vom Garten Eden die Kerubim wohnen und das lodernde Flammenschwert, damit sie den Weg zum Baum des Lebens bewachten. (Gen 3, 22-24)

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Auch Kain wurde ins Exil geschickt, nachdem er seinen Bruder getötet hatte.

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Rastlos und ruhelos wirst du auf der Erde sein. (Gen 4, 12)

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​Dieses Motiv verdeutlicht die Folgen der Sünde: Sie trennt uns von Gott und seiner Familie. Das Motiv wird in der weiteren Heilsgschichte noch häufig auftauchen. Wir lesen zum Beispiel wie die Israeliten ins Exil nach Ägypten gingen, und die Einwohner des Königreichs Juda wurden nach Babylon verschleppt. So können wir unsere Erlösung als eine Befreiung verstehen. Jesus ist gekommen, um uns aus dem Exil zu befreien, wie er selbst in seiner ersten Predigt in Nazareth verkündet.

 

Der Geist des Herrn ruht auf mir; / denn er hat mich gesalbt. Er hat mich gesandt, / damit ich den Armen eine frohe Botschaft bringe; damit ich den Gefangenen die Entlassung verkünde / und den Blinden das Augenlicht; damit ich die Zerschlagenen in Freiheit setze und ein Gnadenjahr des Herrn ausrufe.  (Lk 4, 17-19)

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Unser Exil ist selbstverschuldet. Aber Gott möchte, dass wir zur Vernunft kommen – wie der verlorene Sohn – und zu ihm zurückkehren.

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​Da sagte der Sohn zu ihm: Vater, ich habe mich gegen den Himmel und gegen dich versündigt; ich bin nicht mehr wert, dein Sohn zu sein. Der Vater aber sagte zu seinen Knechten: Holt schnell das beste Gewand und zieht es ihm an, steckt einen Ring an seine Hand und gebt ihm Sandalen an die Füße! Bringt das Mastkalb her und schlachtet es; wir wollen essen und fröhlich sein. Denn dieser, mein Sohn, war tot und lebt wieder; er war verloren und ist wiedergefunden worden. Und sie begannen, ein Fest zu feiern. (Lk 15, 21-24)

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Das Motiv ‚Angesicht Gottes‘

 

Ein drittes Motiv der Einleitung heißt ‚Angesicht Gottes‘. Nach dem Sündenfall geht die Geschichte so weiter: „Adam und Eva versteckten sich vor Gott, dem HERRN, inmitten der Bäume des Gartens." (Gen 3, 8). In einer wörtlichen Übersetzung würde es heißen, dass sie sich vor dem ‚Angesicht Gottes‘ versteckten. Die wichtigste Auswirkung des Sündenfalls war der Verlust der Begegnung mit Gott von Angesicht zu Angesicht. Der Apostel Johannes sagt: „Jeder, der sündigt, hat ihn nicht gesehen und ihn nicht erkannt." (1 Joh 3, 6)

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Die Heilsgeschichte kann betrachtet werden als die Geschichte ​unseres Bestrebens, Gottes Angesicht zu sehen. Dass Gott ein Angesicht hat, bedeutet, dass er ein ‚Du‘ ist, zu dem wir in Beziehung treten können. Der Wunsch, sein Angesicht zu sehen, drückt das tiefste Verlangen nach einer Erneuerung unserer Beziehung zu ihm aus – nach dem Verlust, der eine Folge unserer Auflehnung gegen Gott war.

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Dieses Thema ist das Herzstück der biblischen Geschichte. Das Alte Testament benutzt dieses Motiv häufig.

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Dann sagte er [Mose]: Lass mich doch deine Herrlichkeit schauen! Da sagte er: Ich will meine ganze Güte vor dir vorüberziehen lassen und den Namen des HERRN vor dir ausrufen. Ich bin gnädig, wem ich gnädig bin, und ich bin barmherzig, wem ich barmherzig bin. Weiter sprach er: Du kannst mein Angesicht nicht schauen; denn kein Mensch kann mich schauen und am Leben bleiben. (Ex 33, 18-20)

 

Höre, HERR, meine Stimme, wenn ich rufe; *

sei mir gnädig und gib mir Antwort!

Mein Herz denkt an dich: /

Suchet mein Angesicht! *

Dein Angesicht, HERR, will ich suchen.

Verbirg nicht dein Angesicht vor mir; /

weise deinen Knecht im Zorn nicht ab! *

Du wurdest meine Hilfe.

Verstoß mich nicht, verlass mich nicht, *

du Gott meines Heils! (Ps 27, 7-9)

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Der HERR sprach zu Mose: Sag zu Aaron und seinen Söhnen: So sollt ihr die Israeliten segnen; sprecht zu ihnen: Der HERR segne dich und behüte dich. Der HERR lasse sein Angesicht über dich leuchten und sei dir gnädig. Der HERR wende sein Angesicht dir zu und schenke dir Frieden. (Num 6, 22-26)

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​Durch seine Menschwerdung wurde Jesus das sichtbare Angesicht Gottes. Jeder, der ihn sieht, sieht den Vater. Darum bemühen wir uns, Jesus in unserem geistlichen Leben zu begegnen.

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Philippus sagte zu ihm: Herr, zeig uns den Vater; das genügt uns. Jesus sagte zu ihm: Schon so lange bin ich bei euch und du hast mich nicht erkannt, Philippus? Wer mich gesehen hat, hat den Vater gesehen. Wie kannst du sagen: Zeig uns den Vater?  (Joh 14, 8-9)

 

Geliebte, jetzt sind wir Kinder Gottes. Doch ist noch nicht offenbar geworden, was wir sein werden. Wir wissen, dass wir ihm ähnlich sein werden, wenn er offenbar wird; denn wir werden ihn sehen, wie er ist. (1 Joh 3, 2)

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Zusammenfassung

 

In dieser Lerneinheit haben wir uns drei biblische Motive angeschaut, die in der Heilsgeschichte erstmals in Genesis Kapitel 1 bis 11 vorkommen. Diese Motive sind wichtig, da sie immer wieder in der weiteren Erzählung auftauchen. Das literarische Mittel des Motivs dient dazu, dass wir das zentrale Thema der Bibel besser verstehen: unsere Erlösung. Nach der Erlösungstat Jesu am Kreuz werden wir durch den Heiligen Geist und das Taufwasser neu geschaffen; darum können wir aus unserem Exil heimkehren, in Gottes Gegenwart leben und ihn von Angesicht zu Angesicht schauen.

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Aufgaben

 

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