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Lektion 3

Die Hauptpersonen

Painting of an allegory of the Old and New Testaments by

(Bildausschnitt: Lluís Ribes Mateu auf Flikr)

Übersicht

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In dieser Lerneinheit wollen wir uns die fünf Hauptpersonen näher anschauen, die in den Kapiteln Genesis 1 bis 3 vorgestellt werden. Drei Personen kommen real vor: Gott als Protagonist; die Schlange als Antagonist (Gegenspielerin); Adam und Eva als Repräsentanten der Menschheit. Zwei weitere Figuren – eine Frau und ihr Nachkomme – werden nur in prophetischer Vorausschau erwähnt und spielen erst später in der Heilsgeschichte eine Rolle.   ​

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Lernziele

 

Sie werden diese Lerneinheit erfolgreich beendet haben, wenn Sie

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  • die fünf Hauptpersonen der Heilsgeschichte benennen und mit eigenen Worten beschreiben können,

  • erklären können, wie sie in die biblische Geschichte passen.

 

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Einführung

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In der vorigen Lektion haben wir gesehen, warum die ersten elf Kapitel des Buches Genesis solch eine großartige Einleitung bilden. Die Vorstellung des Schauplatzes und des Plots zogen uns bereits meisterhaft in die Geschichte hinein. Diese endet mit einem Cliffhanger (Spannungsbogen wie bei einem Fortsetzungsroman), der uns zum Weiterlesen anregt. Eine lebendige Entwicklung der Charaktere ist wichtig für jede Erzählung, ebenso muss die Einleitung zu den Hauptpersonen und zum weiteren Ablauf der Handlung hinführen. Das werden wir uns in dieser Lerneinheit ansehen. Der Protagonist der Heilsgeschichte ist natürlich Gott. Die anderen Hauptdarsteller sind das Menschengeschlecht, die Schlange, die als Satan durchschaut wird, der Erlöser und seine Mutter.

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Gott

 

Wie nicht anders zu erwarten, ist Gott der Protagonist. Im Verlauf der Erzählung werden wir ihn immer besser kennenlernen, weil er sich selbst nach und nach in seinen Taten und Worten offenbart. Der Katechismus lehrt:

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Der göttliche Offenbarungsratschluß verwirklicht sich „in Taten und Worten, die innerlich miteinander verknüpft sind“ und einander erhellen. In ihm liegt eine eigenartige göttliche „Erziehungsweisheit“: Gott teilt sich dem Menschen stufenweise mit; er bereitet ihn etappenweise darauf vor, seine übernatürliche Selbstoffenbarung aufzunehmen, die in der Person und Sendung des fleischgewordenen Wortes Jesus Christus gipfelt. (KKK 53)

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Was erfahren wir über Gott in den ersten elf Kapiteln? Zunächst einmal: Gottes Existenz wird einfach vorausgesetzt. Der Verfasser versucht an keiner Stelle, seine Existenz durch theoretische Spekulationen zu beweisen. Der Glaube entsteht nicht aufgrund einer Theorie, sondern aufgrund einer Erfahrung mit Gott. Die biblischen Autoren schildern ihre Erfahrungen mit Gott. Im Allgemeinen setzen sie Gottes Existenz als Tatsache voraus; sie versuchen nicht, diese zu beweisen. Um die biblische Geschichte zu verstehen, hilft es, sie in der gleichen Glaubenshaltung zu lesen, in der sie geschrieben wurde.

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Gott wird in der Genesis dargestellt als das höchste persönliche Wesen, das nicht seinesgleichen hat. Seine uneingeschränkte Vorherrschaft wird auf vielfältige Weise ausgedrückt. Im ersten Kapitel impliziert das hebräische Wort elohim für Gott Überlegenheit und Macht: Gott ist der Allmächtige.

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Auch das hebräische Wort bara, das ‚erschaffen‘ bedeutet, drückt Gottes Vorherrschaft aus. Dieses Wort wird in der Bibel ausschließlich mit Gott als Subjekt verwendet. Spricht die Bibel von Menschen gemachten Werken, so benutzt sie ein anderes Verb. Menschen erschaffen Dinge einfach durch Neuanordnung bereits existierender Dinge. Aber Gottes schöpferisches Tun ist anders. Das Verb bara impliziert, dass vor der Erschaffung der Welt keine Materie existierte. Obwohl der Text es nicht ausdrücklich sagt, legt das Wort eine Schöpfung aus dem Nichts nahe und manifestiert so Gottes Vormachtstellung, weil nur er dazu fähig ist.

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Gott ist erhaben, weil er alles, was existiert, erschaffen hat („Himmel und Erde"). Vor der Schöpfung existierte nichts anderes außer Gott. Als er den Himmel und die Erde erschuf, fragte er niemanden um Rat und bat niemanden um Hilfe. Auch war die Schöpfung nicht das Ergebnis eines Machtkampfes zwischen verschiedenen Göttern – wie in anderen Religionen. Gott wirkte und rief durch sein Wort das, was er wollte, ins Dasein. Er sprach, und die Dinge wurden. All dies zeigt, dass Gott allmächtig und seine Schöpferkraft unendlich ist. Gott ist ewig: Er existierte immer schon und wird darum immer existieren.

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Das oben Gesagte macht deutlich, dass Gott seine Schöpfung übersteigt. Das ​bedeutet, dass er höher ist als alles andere, anders ist als alles andere und verschieden ist von allem, was er schuf. Diese biblische Weltsicht ist dem Pantheismus entgegengesetzt. Der Pantheismus beruht auf dem Glauben, dass alles in der Natur göttlich ist oder Göttliches enthält. Pantheisten glauben, dass Gott die Summe aller Dinge ist, oder anders gesagt, Gott ist in der Natur, er ist die Natur als Ganzes. Für uns Christen steht Gott über der natürlichen Welt.

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Doch obgleich Gott erhaben und transzendent ist, ist er nicht in sich abgeschlossen. Aristoteles beschreibt Gott ​als den unbewegten Beweger, dessen Denken in Ewigkeit nur um sich selbst kreist. Andere beschreiben Gott als eine unpersönliche kosmische Kraft oder Energie. Der Gott der Bibel ist anders. Er ist ein persönliches Wesen, das spricht und sieht und das uns erschuf, gerade weil er mit uns in eine persönliche Beziehung treten will.

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Die Dreifaltigkeit

 

Als Christen glauben wir an die Dreifaltigkeit, an den einen Gott. Aber wir glauben auch, dass es in Gott drei verschiedene Personen gibt. Gott hat nicht einen Sohn. Er ist der Vater, er ist der Sohn, und er ist der Heilige Geist. Jede göttliche Person ist wahrhaft von der anderen verschieden – der Vater ist nicht der Sohn, der Sohn nicht der Vater, und keiner von ihnen ist der Heilige Geist. Und doch sind sie gleichzeitig von derselben Substanz, sodass es nur einen einzigen Gott gibt. Wie kann ein Gott gleichzeitig drei Personen sein? Dies werden wir nie begreifen oder erklären können. Wir glauben es einfach – nicht weil wir es verstehen würden, sondern weil Jesus es uns offenbart hat.

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Das Buch Genesis enthält keine Glaubensl​ehre, aber wenn wir das Buch als gläubige Christen lesen, können wir  Andeutungen der Dreifaltigkeit entdecken; zum Beispiel in dem Wort elohim, das im allerersten Vers vorkommt.

 

Im Anfang erschuf Gott [Elohim] Himmel und Erde.

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Nach der hebräischen Grammatik ist elohim eine Pluralform. Aber viele Verben und Adjektive, die mit diesem Wort verwendet werden, stehen im Singular. Darum übersetzt man das Wort mit ‚Gott‘ und nicht mit ‚Götter‘. Das kann man so deuten, dass Gott seinem Wesen nach einer ist, es aber gleichzeitig in ihm auch eine Pluralität gibt. Ein anderes Beispiel finden wir in Genesis 1, 26, wo diese Interpretation bestätigt wird:

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Dann sprach Gott: „Lasst uns Menschen machen als unser Bild, uns ähnlich!“

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Das Subjekt dieses ​Satzes, Gott, steht im Singular, aber die Personal- bzw. Possesivpronomina ,uns, unser' stehen im Plural.

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Gott, der Vater

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Die Genesis sagt nicht ausdrücklich, dass Gott ein Vater ist, aber sie deutet darauf hin: Gott erschuf uns als sein Abbild und Gleichnis. Was bedeutet das? Philosophen und Theologen haben darüber jahrhundertelang gestritten. Wir werden uns einige ihrer Antworten kurz ansehen. Genesis 5, 3 gibt uns einen Einblick.

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Adam war hundertdreißig Jahre alt, da zeugte er einen Sohn, der ihm ähnlich war, wie sein Bild, und gab ihm den Namen Set. (Gen 5, 3)

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Wenn wir den Text als Christen lesen, können wir schlußfolgern, dass so wie Adam der Vater des Sohnes ist, den er nach seinem Bild und Gleichnis zeugte, auch Gott der Vater derer ist, die er als sein Bild und Gleichnis schuf.

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Die Genesis stellt uns Gott als gut und fürsorglich vor. Er kümmert sich um seine Schöpfung, besonders um das Menschengeschlecht. Der Satz „Gott sah, dass es gut war" wird ständig wiederholt. Den ganzen Schöpfungsbericht kann man lesen als eine Erzählung, in der Gott liebevoll eine Heimat für den Menschen erschafft. Er will das Gute für uns: „Gott, der HERR, ließ aus dem Erdboden allerlei Bäume wachsen, begehrenswert anzusehen und köstlich zu essen" (Gen 2, 9). Er sorgt für Adam, erschafft die Tiere und danach Eva, denn „es ist nicht gut, dass der Mensch allein ist" (Gen 2, 18). Nach dem Sündenfall bestraft er Adam und Eva, aber überläßt sie nicht ihrem Schicksal. Er sorgt weiter für sie. Er „machte dem Menschen und seiner Frau Gewänder von Fell und bekleidete sie damit" (Gen 3, 21). Und er kündigt ihnen einen Erlöser an.

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Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Schöpfungsberichte der ersten beiden Kapitel Gott folgendermaßen vorstellen: Er ist eine Person; er ist ein guter, väterlicher Schöpfer, ein unumschränkter Herrscher, mächtig, klug und ordnend.

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Der Mensch

 

Was sagt die Genesis über uns? Papst Franziskus gibt in seiner Enzyklika Laudato si’ eine sehr gute Zusammenfassung über die biblische Botschaft vom Menschen.

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In der ersten Schilderung des Schöpfungswerkes im Buch Genesis schließt der Plan Gottes die Erschaffung der Menschheit ein. Nach der Erschaffung des Menschen heißt es: „Gott sah alles an, was er gemacht hatte: Es war sehr gut“ (Gen 1, 31). Die Bibel lehrt, dass jeder Mensch aus Liebe erschaffen wurde, als Abbild Gottes und ihm ähnlich (vgl. Gen 1, 26). Diese Aussage macht uns die unermessliche Würde jedes Menschen deutlich; „er ist nicht bloß etwas, sondern jemand. Er ist imstande, sich zu erkennen, über sich Herr zu sein, sich in Freiheit hinzugeben und in Gemeinschaft mit anderen Personen zu treten.“ Der heilige Johannes Paul II. erinnerte daran, dass die ganz besondere Liebe, die der Schöpfer zu jedem Menschen hat,  ihm eine unendliche Würde verleiht. Diejenigen, die sich für die Verteidigung der Menschenwürde einsetzen, können im christlichen Glauben die tiefsten Argumente für diese Aufgabe finden. Was für eine wunderbare Gewissheit ist es, dass das Leben eines jeden Menschen sich nicht in einem hoffnungslosen Chaos verliert, in einer Welt, die dem puren Zufall unterliegt oder Zyklen, die sich sinnlos wiederholen! Der Schöpfer kann zu jedem von uns sagen: „Noch ehe ich dich im Mutterleib formte, habe ich dich ausersehen.“ (Jer 1, 5). Wir wurden im Herzen Gottes „entworfen“, und darum gilt: „Jeder von uns ist Frucht eines Gedankens Gottes. Jeder ist gewollt, jeder ist geliebt, jeder ist gebraucht.“ (Laudato si’, 65)

 

Die Schöpfungsberichte im Buch Genesis enthalten in ihrer symbolischen und narrativen Sprache tiefgründige Lehren über das Menschsein und seine historische Wirklichkeit. Diese Erzählungen deuten an, dass sich das menschliche Dasein auf drei fundamentale, eng miteinander verbundene Beziehungen gründet: die Beziehung zu Gott, zum Nächsten und zur Erde. (Laudato si’, 66)

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Warum erschuf Gott das Menschengeschlecht? Wir sahen bereits, dass Gott uns erschuf, weil wir mit ihm in liebender Gemeinschaft leben sollen. Gott erschuf fürsorglich den Garten als Haus und Tempel, d. h. als einen Ort der Begegnung zwischen ihm und uns. Welcher Art ist unsere Beziehung zu Gott? Auf den Punkt gebracht: familiär.

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Wir sahen bereits, dass unsere Erschaffung als Abbild und Gleichnis Gottes eine Vater-Sohn-Beziehung zwischen Gott und Adam begründete, so wie bei der Vater-Sohn-Beziehung zwischen Adam und Set. Dieser Gedanke wird  im Lukas-Evangelium, Kapitel 3, im Stammbaum Jesu bestätigt. Letzterer beginnt mit Joseph und geht zurück bis auf Adam. In Vers 38 lesen wir: „Enosch, Set, Adam; der stammte von Gott."

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Da Adam der Sohn von Gottvater ist und gleichzeitig der Vater aller Menschen, können wir daraus ableiten, dass alle seine Nachkommen ebenfalls Kinder ​Gottes sind, die in einer Beziehung mit Gott leben sollen. Darum ist der Ausdruck ‚erschaffen als Abbild Gottes‘ von Philosophen und Theologen in diesem Sinn verstanden worden: alles, was uns befähigt, eine persönliche Beziehung mit Gott einzugehen. Das schließt die Entscheidungsfreiheit ein, Selbstbewusstsein, Selbsttranszendenz, Selbstbestimmung, Vernunft, Unterscheidungsfähigkeit von Gut und Böse, Rechtschaffenheit, Heiligkeit und Gottesverehrung. Ohne diese Eigenschaften wäre es uns nicht möglich, in Freiheit eine liebevolle Beziehung mit Gott einzugehen.

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Jedoch ist unsere Beziehung zu Gott nicht die einzige, die uns ​prägt. Wir sind auch aufgerufen, miteinander in einer liebenden Beziehung zu leben. Eine besondere Beziehung besteht zwischen dem Ehemann und seiner Frau. Da Adam keine passende „Hilfe" unter den Tieren fand, versetzte Gott ihn in einen Schlaf und erschuf Eva aus einer seiner Rippen. Als Adam die Frau sah, rief er aus:

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Das endlich ist Bein von meinem Bein / und Fleisch von meinem Fleisch. Frau soll sie genannt werden; / denn vom Mann ist sie genommen. Darum verlässt der Mann Vater und Mutter und hängt seiner Frau an und sie werden ein Fleisch. (Gen 2, 23-24)

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Das Wort ‚Hilfe‘ schließt nicht notwendigerweise Unterordnung mit ein. Selbst Gott wird in der Bibel als ‚Hilfe‘ bezeichnet.

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Gott ist uns Zuflucht und Stärke, als mächtig erfahren, als Helfer in allen Nöten. (Ps 46, 2)

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Die Sprache deutet eine tiefe Wesensverwandtschaft zwischen Mann und Frau an und eine Beziehung, die gegenseitig unterstützend und fürsorglich ist. In der von Gott geschaffenen Ordnung sind Männer und Frauen nach seinem Ebenbild geschaffen. Beide sind Personen, die – obwohl unterschiedlich und komplementär – die gleiche Würde haben.

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Männlich und weiblich erschuf er sie.  (Gen 1, 27)

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Eine dritte fundamentale Beziehung ist die zwischen den Menschen und der Erde. In Kapitel 1 wird der Mensch als Krone der Schöpfung dargestellt. Wir lesen:

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Gott segnete sie und Gott sprach zu ihnen: Seid fruchtbar und mehrt euch, füllt die Erde und unterwerft sie und waltet über die Fische des Meeres, über die Vögel des Himmels und über alle Tiere, die auf der Erde kriechen! (Gen 1, 28)

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In Kapitel 2 stellt Gott die ganze Schöpfung unter die Obhut des Menschen, damit er für sie sorge.

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Gott, der HERR, nahm den Menschen und gab ihm seinen Wohnsitz im Garten von Eden, damit er ihn bearbeite und hüte. (Gen 2, 15)

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Manche haben die jüdisch-christliche Perspektive auf die Natur als anthropozentrisch kritisiert: diese stelle den Menschen ins Zentrum der Schöpfung und erlaube uns, alles nach Belieben zu gebrauchen oder darüber zu verfügen. Papst Franziskus entgegnet dieser Kritik:

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Wir sind nicht Gott. Die Erde war schon vor uns da und ist uns gegeben worden. Das gestattet, auf eine Beschuldigung gegenüber dem jüdisch-christlichen Denken zu antworten: Man hat gesagt, seit dem Bericht der Genesis, der einlädt, sich die Erde zu „unterwerfen“ (vgl. Gen 1, 28), werde die wilde Ausbeutung der Natur begünstigt durch die Darstellung des Menschen als herrschend und destruktiv. Das ist keine korrekte Interpretation der Bibel, wie die Kirche sie versteht. Wenn es stimmt, dass wir Christen die Schriften manchmal falsch interpretiert haben, müssen wir heute mit Nachdruck zurückweisen, dass aus der Tatsache, als Abbild Gottes erschaffen zu sein, und dem Auftrag, die Erde zu beherrschen, eine absolute Herrschaft über die anderen Geschöpfe gefolgert wird. Es ist wichtig, die biblischen Texte in ihrem Zusammenhang zu lesen, mit einer geeigneten Hermeneutik, und daran zu erinnern, dass sie uns einladen, den Garten der Welt zu „bebauen“ und zu „hüten“ (vgl. Gen 2, 15). Während „bebauen“ kultivieren, pflügen oder bewirtschaften bedeutet, ist mit „hüten“ schützen, beaufsichtigen, bewahren, erhalten, bewachen gemeint. Das schließt eine Beziehung verantwortlicher Wechselseitigkeit zwischen dem Menschen und der Natur ein. Jede Gemeinschaft darf von der Erde das nehmen, was sie zu ihrem Überleben braucht, hat aber auch die Pflicht, sie zu schützen und das Fortbestehen ihrer Fruchtbarkeit für die kommenden Generationen zu gewährleisten. Denn „dem Herrn gehört die Erde“ (Ps 24, 1), ihm gehört letztlich „die Erde und alles, was auf ihr lebt“ (Dtn 10, 14). Darum lehnt Gott jeden Anspruch auf absolutes Eigentum ab: „Das Land darf nicht endgültig verkauft werden; denn das Land gehört mir, und ihr seid nur Fremde und Halbbürger bei mir“ (Lev 25, 23). (Laudato si’, 67)

 

Wir sind verpflichtet, die Güter der Erde in Verantwortung zu gebrauchen, und wir sollen anerkennen, dass in Gottes Augen jedes andere Lebewesen seinen individuellen Wert hat: „durch ihre bloße Existenz preisen sie ihn und erweisen ihm die Ehre“, und tatsächlich der HERR freue sich seiner Werke (Ps 104, 31). Kraft unserer einzigartigen Würde und unserer Gabe des Verstandes sind wir aufgerufen, die Schöpfung und ihre innewohnenden Gesetze zu achten, denn der HERR hat die Erde mit Weisheit gegründet (Spr 3, 19). Heutzutage sagt die Kirche nicht einfach, dass andere Geschöpfe den Menschen vollkommen untergeordnet seien, als hätten sie keinen Wert in sich selbst und könnten nach unserem Belieben behandelt werden. Die deutschen Bischöfe haben gelehrt, dass, wo andere Geschöpfe betroffen sind, „es eine Priorität gibt, die der Nützlichkeit übergeordnet ist“. Der Katechismus kritisiert klar und nachdrücklich einen verzerrten Anthropozentrismus: „Jedes Geschöpf besitzt seine eigene Güte und Vollkommenheit […] Die unterschiedlichen Geschöpfe spiegeln in ihrem gottgewollten Eigensein, jedes auf seine Art, einen Strahl der unendlichen Weisheit und Güte Gottes wider. Deswegen muss der Mensch die gute Natur eines jeden Geschöpfes achten und sich hüten, die Dinge gegen ihre Ordnung zu gebrauchen.“ (Laudato si‘, 69)

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Die von Gott geschaffene Welt ist gut. Ja, nach der Erschaffung von Mann und Frau heißt es sogar: „Gott sah alles an, was er gemacht hatte: Und siehe, es war sehr gut" (Gen 1, 31). Alles war gut – bis zum Sündenfall.

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Nach der Bibel sind diese drei lebenswichtigen Beziehungen zerbrochen, nach außen und in uns. Dieser Bruch ist eine Sünde. Die Harmonie zwischen dem Schöpfer, der Menschheit und der gesamten Schöpfung wurde gestört durch unsere Anmaßung, Gottes Platz einnehmen zu wollen und die Anerkennung unserer kreatürlichen Grenzen zu verweigern. Dies wiederum verzerrte unseren Auftrag, ‚über die Erde zu herrschen‘ (vgl. Gen 1, 28), sie zu bearbeiten und zu hüten (Gen 2, 15). „Als Folge verwandelte sich die ursprünglich harmonische Beziehung zwischen dem Menschen und der Natur in einen Konflikt.“ (Laudato si’, 66)

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In der Erzählung von Kain und Abel sehen wir, dass die Eifersucht Kain dazu führte, das extreme Unrecht gegen seinen Bruder zu verüben. Das wiederum verursachte einen Bruch der Beziehung zwischen Kain und Gott sowie zwischen Kain und dem Land, aus dem er vertrieben wurde. Diese Textstelle ist in dem dramatischen Gespräch Gottes mit Kain zusammengefasst. Gott fragt: „Wo ist dein Bruder Abel?“ Kain antwortet, er wisse es nicht, und Gott beharrt: „Was hast du getan? Das Blut deines Bruders schreit zu mir vom Ackerboden. So bist du verflucht, verbannt vom Ackerboden“ (Gen 4, 9-11). Die Unachtsamkeit in dem Bemühen, eine angemessene Beziehung zu meinem Nächsten zu pflegen und zu erhalten, für den ich sorgen und den ich behüten muss, zerstört meine innere Beziehung zu mir selbst, zu den anderen, zu Gott und zur Erde. Wenn alle diese Beziehungen vernachlässigt werden, wenn die Gerechtigkeit nicht mehr im Lande wohnt, dann – sagt uns die Bibel – ist das gesamte Leben in Gefahr. Das ist es, was uns die Erzählung von Noach lehrt, als Gott droht, die Menschheit zu vernichten wegen ihrer andauernden Unfähigkeit, entsprechend den Anforderungen von Gerechtigkeit und Frieden zu leben: „Ich sehe, das Ende aller Wesen aus Fleisch ist da; denn durch sie ist die Erde voller Gewalttat“ (Gen 6, 13). In diesen so alten, an tiefem Symbolismus überreichen Erzählungen war schon eine heutige Überzeugung enthalten: dass alles aufeinander bezogen ist und dass die echte Sorge für unser eigenes Leben und unsere Beziehungen zur Natur nicht zu trennen ist von der Brüderlichkeit, der Gerechtigkeit und der Treue gegenüber den anderen. (Laudato si’, 70)

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​ Obwohl „auf der Erde die Schlechtigkeit des Menschen zunahm“ (Gen 6, 5) und es Gott „reute […], auf der Erde den Menschen gemacht zu haben“ (Gen 6, 6), entschied er doch, über Noach, der noch rechtschaffen und gerecht geblieben war, einen Weg zur Rettung zu öffnen. So gab er der Menschheit die Möglichkeit zu einem neuen Anfang. Ein guter Mensch ist genug, um die Hoffnung nicht untergehen zu lassen! Die biblische Überlieferung legt deutlich fest, dass diese Wiederherstellung die Wiederentdeckung und die Achtung der Rhythmen einschließt, die durch die Hand des Schöpfers in die Natur eingeschrieben sind. Das zeigt sich zum Beispiel im Sabbatgebot. Am siebten Tag ruhte Gott von all seinen Werken. Gott gebot Israel, jeden siebten Tag als Ruhetag, als Sabbat, zu begehen.“ (Laudato si’, 71)

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Die Schlange

 

Als dritte Figur der Erzählung tritt die Schlange auf. Sie ist die Gegenspielerin und hat ihren großen Auftritt in Kapitel 3. Eine Handlung wäre keine Handlung ohne den Bösewicht, der Probleme bereitet. Da wir noch am Anfang der Geschichte stehen, erfahren wir nicht viel über diese Figur. Wir wissen nicht, woher sie kommt; sie ist einfach da.

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Heutige Leser möchten jedoch alles genau wissen. Sie fragen sich auch, warum ein guter Gott der Schlange erlaubt, Adam und Eva zu verführen. Wir erhalten keine Antwort auf diese Frage. Erinnern Sie sich an das BibleProject-Video – Antike jüdische Meditationsliteratur. Ein wesentliches Merkmal dieses Genres ist, dass eine Menge Details fehlen, die moderne Leser erwarten würden. Obwohl diese Gattung simpel erscheint, handelt es sich um sehr anspruchsvolle Literatur. Jedes Detail ist wichtig. Die Mehrdeutigkeit zwingt uns, jedes Teil im Licht der anderen zu lesen und zu interpretieren.

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Der Text sagt über die Schlange: Sie „war schlauer als alle Tiere des Feldes, die Gott, der HERR, gemacht hatte" (Gen 3, 1). Deshalb konnte sie Adam und Eva – und auch uns – verführen, Gott zu misstrauen und ihm den Gehorsam zu verweigern.

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Die Schlange hat an dieser Stelle keinen Namen, aber in der christlichen Tradition wird sie mit Satan identifiziert, der in der Offenbarung 12, 9 genannt wird: ​ „Er wurde gestürzt, der große Drache, die alte Schlange, die Teufel oder Satan heißt und die ganze Welt verführt". In Joh 8, 44 nennt Jesus den Teufel den Vater aller Lügen und einen Mörder von Anfang an.

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Der Erlöser und seine Mutter

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Der Text stellt in Form einer wichtigen Prophetie zwei weitere Gestalten vor. Als Adam und Eva gegen Gott sündigten, indem sie von der Frucht des verbotenen Baumes aßen, verloren sie seine Freundschaft – nicht nur für sich selbst, sondern ebenso für alle ihre Nachkommen. In dieser Situation hätten sie leicht verzweifeln können. Doch schenkte Gott ihnen in seiner Güte die Hoffnung auf Rettung, indem er Erlösung versprach. Er prophezeite ihnen:

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Und Feindschaft setze ich zwischen dir und der Frau, / zwischen deinem Nachkommen und ihrem Nachkommen. / Er trifft dich am Kopf / und du triffst ihn an der Ferse.  (Gen 3, 15)

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Diese Prophetie spricht von einem zukünftigen Kampf zwischen der Frau und ihrem Nachkommen gegen die Schlange. Antike jüdische Texte deuten diesen Text als Vorausschau auf den kommenden Messias.

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Ich will Feindschaft setzen zwischen dir und der Frau und zwischen deinen Söhnen und ihren Söhnen ... Für ihre Söhne wird es jedoch ein Heilmittel geben, aber für deine, du Schlange, wird es kein Heilmittel geben. Sie werden am Ende Frieden finden, am Tag des Königs Messias.​ (Targum Neofiti  über Genesis 3,15)

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Weil auch eine Frau in den Kampf verwickelt sein wird – „Feindschaft setze ich zwischen dir und der Frau" – haben die frühen Christen darin eine Vorhersage über den Messias und seine Mutter gesehen. Diese Frau ist Maria, und ihr Nachkomme ist Jesus. Da diese Prophetie einen Erlöser verheißt, wurde sie Protoevangelium genannt, d. h. die erste (proto) gute Botschaft (evangelium). Gott versprach also, einen Erlöser zu senden, der alles gutmachen würde. Obwohl der Erlöser und seine Mutter erst später in der Heilsgeschichte erscheinen, werden sie schon zu Beginn vorhergesagt.

 

Diese Prophezeiung wurde gleich nach dem Sündenfall zu Beginn der Menschheitsgeschichte gegeben, bevor Adam und Evas Kinder geboren wurden. Dies könnte erklären, warum andere Religionen ebenfalls von einem von Gott gesandten Erlöser, geboren von einer Jungfrau sprechen. Man kann vernünftigerweise annehmen, dass Adam und Eva ihren Kindern von Gottes Verheißung erzählt haben, und diese wiederum haben sie an ihre Nachkommen weitergegeben. So verbreitete sie sich in jeder Kultur, wenn auch in entstellter Form.

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Das Protoevangelium deutet auch an, auf welche Weise der Erlöser die Schlange vernichten wird. Er wird der Schlange den Kopf zertreten, aber die – vermutlich giftige – Schlange beißt ihm ihrerseits in die Ferse. Diese Prophezeiung weist also auch auf den Tod Jesu am Kreuz voraus.

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