Lektion 2
Die Krise

Übersicht
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Genesis 3 bereitet den weiteren Verlauf der gesamtbiblischen Geschichte vor, weil in diesem Kapitel ein Konflikt, eine Krise beschrieben wird. Durch die Schlange verführt, übertreten Adam und Eva das Verbot Gottes und kündigen so ihre Gemeinschaft mit ihm auf. Die Handlung verdichtet sich in Kapitel 4. Dort lesen wir, wie diese erste Sünde Tür und Tor öffnet für eine Flut von weiteren Sünden. Am Ende von Kapitel 11 sind Gottes Pläne für seine Schöpfung und die Menschheit vollkommen zunichte gemacht. Die weiteren Teile der Bibel handeln dann davon, wie Gott uns aus dieser Situation befreien wird. Deshalb wird die Geschichte, die sich durch alle Bücher der Bibel zieht, ‚Geschichte der Erlösung’ oder ‚Heilsgeschichte’ genannt.
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Lernziele
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Sie werden diese Lerneinheit erfolgreich abgeschlossen haben, wenn Sie
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ādie Art und die Auswirkungen der Sünde von Adam und Eva beschreiben können;
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erklären können, wie sich die Sünde in der ganzen Welt ausbreitete;
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āāerklären können, wie Gott eine neue Schöpfung ins Leben ruft, und die Unterschiede zwischen dieser und der ursprünglichen Schöpfung beschreiben können.
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Einführung
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Eine gute Einführung zeichnet sich dadurch aus, dass sie das Szenarium vorstellt, aus dem sich dann der weitere Verlauf der Handlung ergibt. Denken Sie daran, ein Plot ist eine Abfolge von Ereignissen, aus denen sich eine Geschichte entwickelt. Dann taucht häufig ein Problem auf; es kommt zu einem Konflikt oder einer Krise, die überwunden werden muss.
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In der vorhergehenden Lektion haben wir die Ausgangssituation unserer Geschichte betrachtet: Gott erschuf nicht nur ein Paradies, in dem Adam und Eva lebten, er lud sie auch in eine Bundesbeziehung mit ihm ein, damit sie Teil seiner Familie würden. Er ließ ihnen die Freiheit, dieses Angebot anzunehmen und seine Liebe zu erwidern. Doch Liebe muss sich bewähren. Adam und Eva mussten ihre Gottesliebe nur durch die Einhaltung eines einzigen, einfachen Gebotes unter Beweis stellen. Leider scheiterten sie – wie wir noch sehen werden – zerstörten dadurch die Gemeinschaft mit Gott und starben einen geistigen Tod. Diese Situation setzt die weitere Handlung in Gang, denn die Heilsgeschichte erzählt davon, wie Gott diese Krise überwindet, um die Gemeinschaft mit uns wiederherzustellen.
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Der Sündenfall
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Der Katechismus lehrt: „Der Bericht vom Sündenfall verwendet eine bildhafte Sprache, beschreibt jedoch ein Urereignis, das zu Beginn der Geschichte des Menschen stattgefunden hat.“ (KKK 390) Was brachte Adam und Eva dazu, Gott nicht zu gehorchen? Es war ihr Stolz. Der Katechismus bringt es auf den Punkt:
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Vom Teufel versucht, ließ der Mensch in seinem Herzen das Vertrauen zu seinem Schöpfer sterben, mißbrauchte seine Freiheit und gehorchte dem Gebot Gottes nicht. Darin bestand die erste Sünde des Menschen. Danach wird jede Sünde Ungehorsam gegen Gott und Mangel an Vertrauen auf seine Güte sein. (KKK 397)
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In dieser Sünde zog der Mensch sich selbst Gott vor und mißachtete damit Gott: er entschied sich für sich selbst gegen Gott, gegen die Erfordernisse seines eigenen Geschöpfseins und damit gegen sein eigenes Wohl. In den Stand der Heiligkeit gestellt, war der Mensch dazu bestimmt, von Gott in der Herrlichkeit völlig „vergöttlicht“ zu werden. Vom Teufel versucht, wollte er „wie Gott sein“, aber „ohne Gott und nicht vor Gott und nicht Gott gemäß.“ (KKK 398)
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In Gestalt einer Schlange verführt Satan Eva, indem er eine scheinbare Sachfrage stellt: „Hat Gott wirklich gesagt: Ihr dürft von keinem Baum des Gartens essen?“ (Gen 3, 1). Diese Frage war deshalb gefährlich, weil sie eine Lüge enthielt. Gott hatte Adam und Eva nicht verboten, von den Bäumen des Gartens zu essen, sondern nur von einem bestimmten Baum. Durch das folgende Gespräch wandelt sich Evas Zweifel in Misstrauen. Satan stellt Gott als Rivalen dar, der eifersüchtig seine göttlichen Vorrechte verteidigt.
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Die Frau entgegnete der Schlange: Von den Früchten der Bäume im Garten dürfen wir essen; nur von den Früchten des Baumes, der in der Mitte des Gartens steht, hat Gott gesagt: Davon dürft ihr nicht essen und daran dürft ihr nicht rühren, sonst werdet ihr sterben. Darauf sagte die Schlange zur Frau: Nein, ihr werdet nicht sterben. Gott weiß vielmehr: Sobald ihr davon esst, gehen euch die Augen auf; ihr werdet wie Gott und erkennt Gut und Böse. (Gen 3, 2-5)
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āIn Evas Herzen entflammte das stolze Verlangen, wie Gott zu sein, und so gab sie der Versuchung nach und aß die Frucht des verbotenen Baumes. Dann brachte sie Adam dazu, ebenfalls zu sündigen. Doch anstatt gottgleich zu werden, gingen beiden die Augen auf und sie erkannten, dass sie nackt waren. Sie hefteten Feigenblätter zusammen und machten sich daraus einen Schurz (vgl. Gen 3, 7). Die Ironie, die darin liegt: Gott hatte sie eingeladen, göttlich zu werden – aber zu seinen Bedingungen. Sie entschieden sich dagegen und verschmähten seine Einladung. Und so fanden sie sich am Ende schwach und verletzlich in ihrer Nacktheit wieder.
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Die Folgen des Sündenfalls
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Als sie Gott im Garten umhergehen hörten, bekamen sie Angst und versteckten sich vor ihm. Gott fragt Adam: „Wer hat dir gesagt, dass du nackt bist? Hast du von dem Baum gegessen, von dem ich dir geboten habe, davon nicht zu essen?” (Gen 3, 11). Anstatt seine Sünde demütig zu bekennen, beschuldigt Adam Eva: „Die Frau, die du mir beigesellt hast, sie hat mir von dem Baum gegeben. So habe ich gegessen“ (Gen 3, 13). Als Folge davon bestraft Gott alle drei:
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Da sprach Gott, der HERR, zur Schlange: Weil du das getan hast, bist du verflucht / unter allem Vieh und allen Tieren des Feldes. / Auf dem Bauch wirst du kriechen / und Staub fressen alle Tage deines Lebens. (Gen 3, 14)
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Zur Frau sprach er:
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Viel Mühsal bereite ich dir und häufig wirst du schwanger werden. / Unter Schmerzen gebierst du Kinder. / Nach deinem Mann hast du Verlangen / und er wird über dich herrschen.“ (Gen 3, 16)
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Und zu Adam sagte er:
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āWeil du auf die Stimme deiner Frau gehört und von dem Baum gegessen hast, von dem ich dir geboten hatte, davon nicht zu essen, ist der Erdboden deinetwegen verflucht. / Unter Mühsal wirst du von ihm essen alle Tage deines Lebens. Dornen und Disteln lässt er dir wachsen / und die Pflanzen des Feldes wirst du essen. Im Schweiße deines Angesichts / wirst du dein Brot essen, / bis du zum Erdboden zurückkehrst; / denn von ihm bist du genommen, / Staub bist du / und zum Staub kehrst du zurück. (Gen 3, 17-19)
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Jede der drei Strafen betraf eine der beteiligten Personen. Die Schlange wurde unter allen Tieren verflucht; die Frau würde von nun an unter Schmerzen gebären; und der Mann verlor seine Unsterblichkeit („zum Staub kehrst du zurück“). Doch letzen Endes betrafen die weiteren Folgen dieser Sünde nicht nur diese drei, hatten also nicht nur individuelle Auswirkungen.
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Ihr Verhalten hatte eine weitreichendere, tiefgreifendere Konsequenz zur Folge, die nicht nur Adam und Eva betraf. Wie sahen bereits, dass Gott uns erschuf, damit wir Teil seiner Familie würden – in liebender Gemeinschaft mit ihm und Anderen. Adams und Evas Sünde zerstörte die Beziehung, die für diese Gemeinschaft unerlässlich war. Wir alle leiden unter diesen Auswirkungen. Die erste betrifft unsere Beziehung zu Gott: Anstatt ihn zu lieben und ihm zu vertrauen, fürchten wir ihn häufig und verbergen uns vor ihm – wie Adam und Eva.
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ā Als sie an den Schritten hörten, dass sich Gott, der HERR, beim Tagwind im Garten erging, versteckten sich der Mensch und seine Frau vor Gott, dem HERRN, inmitten der Bäume des Gartens. (Gen 3, 8)
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Eine weitere Auswirkung ist die zerstörte Beziehung zwischen Mann und Frau. An die Stelle von liebender gegenseitiger Unterstützung tritt jetzt Herrschaft. „Nach deinem Mann hast du Verlangen / und er wird über dich herrschen.“ (Gen 3, 16)
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Auch unser Verhältnis zur Natur ist davon betroffen: „[Deinetwegen] ist der Erdboden ... verflucht. / Unter Mühsal wirst du von ihm essen alle Tage deines Lebens. Dornen und Disteln lässt er dir wachsen / und die Pflanzen des Feldes wirst du essen.“ Sogar unsere innere Harmonie wird durch diese Sünde verletzt. Der Katechismus fasst die Folgen der Sünde so zusammen:
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Die Harmonie, die sie der ursprünglichen Gerechtigkeit verdankten, ist zerstört; die Herrschaft der geistigen Fähigkeiten der Seele über den Körper ist gebrochen; die Einheit zwischen Mann und Frau ist Spannungen unterworfen; ihre Beziehungen sind gezeichnet durch Begierde und Herrschsucht. Auch die Harmonie mit der Schöpfung ist zerbrochen: die sichtbare Schöpfung ist dem Menschen fremd und feindlich geworden. Wegen des Menschen ist die Schöpfung der Knechtschaft „der Vergänglichkeit unterworfen". Schließlich wird es zu der Folge kommen, die für den Fall des Ungehorsams ausdrücklich vorhergesagt worden war: der Mensch „wird zum Erdboden zurückkehren, von dem er genommen ist“. Der Tod hält Einzug in die Menschheitsgeschichte. (KKK 400)
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Die neue Lage
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Der Sündenfall veränderte auch die Rahmenbedingungen für unsere eigene Geschichte. Als Folge der Sünde vertrieb Gott Adam und Eva – und damit auch ihre zukünftigen Nachkommen – aus dem Garten Eden.
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Da schickte Gott, der HERR, ihn aus dem Garten Eden weg, damit er den Erdboden bearbeite, von dem er genommen war. Er vertrieb den Menschen und ließ östlich vom Garten Eden die Kerubim wohnen und das lodernde Flammenschwert, damit sie den Weg zum Baum des Lebens bewachten. (Gen 3, 23-24)
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Von nun an werden Adam und Eva im Exil leben, weit entfernt vom Garten. Wir werden sehen, wie häufig die weitere Geschichte der Menschheit in der Wüste oder der Wildnis spielen wird. Das ist der neue Schauplatz für unsere eigene Geschichte. Trotz allem verließ Gott Adam und Eva nicht.
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ā Gott, der HERR, machte dem Menschen und seiner Frau Gewänder von Fell und bekleidete sie damit. (Gen 3, 21)
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Die Handlung verdichtet sichā
Genesis 3 bereitet den weiteren Verlauf der biblischen Geschichte vor, weil in diesem Kapitel eine Krise beschrieben wird. Durch die Schlange verführt, übertraten Adam und Eva das Verbot Gottes und kündigten so ihre Gemeinschaft mit ihm auf. Die Handlung verdichtet sich in Kapitel 4, weil sich die Sünde über die ganze Welt ausbreitet.
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Kain und Abel (Gen 4)
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In Kapitel 4 lesen wir die Geschichte von Kain und Abel. Adam und Eva hatten zwei Söhne: „Abel wurde Schafhirt und Kain Ackerbauer” (Gen 4, 2). Beide brachten Gott Opfergaben dar, doch Gott bevorzugte Abels Opfer.
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Nach einiger Zeit brachte Kain dem HERRN eine Gabe von den Früchten des Erdbodens dar; auch Abel brachte eine dar von den Erstlingen seiner Herde und von ihrem Fett. Der HERR schaute auf Abel und seine Gabe, aber auf Kain und seine Gabe schaute er nicht. Da überlief es Kain ganz heiß und sein Blick senkte sich. (Gen 4, 3-5)
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Gott handelte nicht willkürlich. Abel opferte Gott die Erstlinge seiner Herde – also das Beste – Kain dagegen nicht. Es heißt nur, er opferte „Früchte des Erdbodens". Rasend vor Eifersucht und taub für Gottes Warnung, tötete Kain seinen Bruder. Die Sünde beschädigte auf diese Weise eine weitere Schlüsselbeziehung: die der Brüderlichkeit. Gott strafte Kain für seine Sünde, er wurde aus dem Land gewiesen. Doch ähnlich wie bei Adam und Eva gab Gott ihn nicht vollständig auf. Er sorgte weiter für ihn und schützte ihn.
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Der HERR sprach: Was hast du getan? Das Blut deines Bruders erhebt seine Stimme und schreit zu mir vom Erdboden. So bist du jetzt verflucht, verbannt vom Erdboden, der seinen Mund aufgesperrt hat, um aus deiner Hand das Blut deines Bruders aufzunehmen. Wenn du den Erdboden bearbeitest, wird er dir keinen Ertrag mehr bringen. Rastlos und ruhelos wirst du auf der Erde sein. Kain antwortete dem HERRN: Zu groß ist meine Schuld, als dass ich sie tragen könnte. Siehe, du hast mich heute vom Erdboden vertrieben und ich muss mich vor deinem Angesicht verbergen; rastlos und ruhelos werde ich auf der Erde sein und jeder, der mich findet, wird mich töten. Der HERR aber sprach zu ihm: Darum soll jeder, der Kain tötet, siebenfacher Rache erfallen. Darauf machte der HERR dem Kain ein Zeichen, damit ihn keiner erschlage, der ihn finde. So zog Kain fort, weg vom HERRN und ließ sich im Land Nod nieder, östlich von Eden. (Gen 4, 10-16)
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Kains und Sets Nachkommen (Gen 4, 17-5, 32)
Nach Abels Tod hatten Adam und Eva einen dritten Sohn, den sie Set nannten. In Kapitel 4 und 5 werden die Genealogien von Kain und Set aufgelistet. Wir sind oft versucht, beim Lesen die vielen Stammbäume zu überspringen. Doch sollten wir das unterlassen, denn sie sind wichtig. Sie sind ein bewusst eingesetztes literarisches Stilmittel, das uns viele bedeutsame Anhaltspunkte bietet. Stattdessen sollten wir uns auf die Schlüsselgestalten in jeder Genealogie fokussieren.
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In Genesis 4, 19-24 werden die Nachfolger Kains aufgelistet:
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Lamech nahm sich zwei Frauen; der Name der einen war Ada und der Name der anderen Zilla. … Lamech sagte zu seinen Frauen: Ada und Zilla, hört auf meine Stimme, / ihr Frauen Lamechs, horcht meiner Rede! / Ja, einen Mann erschlage ich für meine Wunde / und ein Kind für meine Strieme. Wird Kain siebenfach gerächt, / dann Lamech siebenundsiebzigfach.
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Das soll heißen, dass sich die Sünde in dieser Linie weiter ausbreitet. Lamech war der erste Mensch, der in einer Vielehe lebte und dadurch die Beziehung zwischen Ehemann und Ehefrau weiter schwächte. Er war auch ein Mörder, gewalttätiger sogar als Kain. Es ist deshalb kein Zufall, dass Lamech in der sechsten Generation geboren wird. Wie wir schon gesehen haben, kennzeichnet die Zahl Sechs in der Bibel jene, die Gott zurückweisen.
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Sets Linie ist anders. Die Bibel erzählt uns, dass man schon in der Zeit seines Sohnes Enosch anfing, „den Namen des HERRN anzurufen“ (Gen 4, 26). Ein späterer Nachkomme – Henoch – „lebte mit Gott, dann war er nicht mehr da; denn Gott hatte ihn aufgenommen” (Gen 5, 24). Der Text impliziert, dass Henoch in Beziehung mit Gott lebte und dadurch in seine Bundesfamilie eintrat. Das hatte zur Folge, dass er nicht starb, sondern wegen seiner Gerechtigkeit direkt in den Himmel aufgenommen wurde. Übrigens wurde Henoch in der siebten Generation geboren.ā
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Wir sehen also zwei sehr unterschiedliche Genealogien: die von Kain und Set. Kains Nachkommen waren böse, sie lehnten Gott ab. Sets Nachkommen dagegen lebten heilig. Sie riefen Gottes Namen an und lebten in Beziehung mit ihm. Sets Genealogieliste wird in der biblischen Geschichte durch die Erzählung von Noach und der Sintflut unterbrochen.
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Noach und die Sintflut (Gen 6-9)
Die Geschichte von Noach und der Sintflut ist vielen bekannt, doch für heutige Leser kann dieses Ereignis ziemlich beunruhigend sein. Wir wüssten gern, ob es die Sintflut wirklich gegeben hat, und fragen uns, wie ein guter Gott so etwas tun kann. Diese Fragen sind berechtigt und müssen ernstgenommen werden. Eine erschöpfende Antwort würde jedoch den Rahmen dieses Kurses sprengen. Aber wenn wir die Bibel als kontinuierliche Geschichte lesen, kann das auch Licht auf dieses Problem werfen. Die Erzählung über die Sintflut lässt sich in vier Akte gliedern.
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Erster Akt
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Der erste Akt beschreibt die Ausbreitung der Sünde über die ganze Welt, was in uns schwer verständlichen Bildern erzählt wird.
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Als sich die Menschen auf Erden zu vermehren begannen und ihnen Töchter geboren wurden, sahen die Gottessöhne, wie schön die Menschentöchter waren, und sie nahmen sich von ihnen allen Frauen, die sie auswählten. Da sprach der HERR: Mein Geist soll nicht für immer im Menschen bleiben, weil er eben Fleisch ist; daher soll seine Lebenszeit hundertzwanzig Jahre betragen. In jenen Tagen gab es auf der Erde die Riesen, und auch später noch, nachdem sich die Gottessöhne mit den Menschentöchtern eingelassen und diese ihnen Kinder geboren hatten. Das sind die Helden der Vorzeit, die namhaften Männer. (Gen 6, 1-4)
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Wer waren die Gottessöhne und die Menschentöchter? Was sind Nephilim? Manche glauben, die Gottessöhne seien Himmelswesen, vielleicht Engel. Das ergibt jedoch keinen Sinn. Engel haben keine Körper; sie sind reine Geistwesen. Daher konnten sie keine geschlechtlichen Beziehungen mit Menschenfrauen eingehen.
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Wenn wir den Text jedoch im Rahmen der Genealogien von Kain und Set lesen, werden die Bilder verständlich. Die Gottessöhne waren Sets Nachkommen, die in Beziehung mit Gott lebten und dadurch zu seiner Bundesfamilie gehörten. Die Menschentöchter hingegen waren Kains Nachkommen. Beide Linien heirateten untereinander, und das böse Blut der Linie Kains vermischte sich mit dem guten Blut der Set-Linie, so dass das Übel sich in der ganzen Welt ausbreitete. Die Nephilim waren die Nachkommen aus diesen Mischehen. Das Wort bedeutet wörtlich ‚die Gefallenen‘.
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Der HERR sah, dass auf der Erde die Bosheit des Menschen zunahm und dass alles Sinnen und Trachten seines Herzens immer nur böse war. Da reute es den HERRN, auf der Erde den Menschen gemacht zu haben, und es tat seinem Herzen weh. (Gen 6, 5-6)
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Wie reagierte Gott auf diese Situation? Die Antwort finden wir im zweiten Akt.
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Zweiter Akt
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Die Erde aber war vor Gott verdorben, die Erde war voller Gewalttat. Gott sah sich die Erde an und siehe, sie war verdorben; denn alle Wesen aus Fleisch auf der Erde lebten verdorben. Da sprach Gott zu Noach: Ich sehe, das Ende aller Wesen aus Fleisch ist gekommen; denn durch sie ist die Erde voller Gewalttat. Siehe, ich will sie zugleich mit der Erde verderben. (Gen 6, 11-13)
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Gott setzte die Welt in das Urchaos zurück, das geherrscht hatte, bevor er sein sechstägiges Schöpfungswerk begonnen hatte, als „die Erde ... wüst und wirr [war] und Finsternis ... über der Urflut [lag] und Gottes Geist ... über dem Wasser [schwebte]" (Gen 1, 2).
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Gott rettete Noach und seine Familie vor der Flut, weil er der einzige gerechte und untadelige Mensch auf Erden war. Gott gebot ihm, eine Arche zu bauen. Sobald diese fertig war, gingen Noach und seine Familie in die Arche hinein. Tiere und Vögel folgten ihnen (vgl. Gen 6, 13-14). Diese Reihenfolge ist bedeutsam. Sie kehrt die Ordnung aus Kapitel 1 um, wo zuerst die Vögel, dann die Tiere und zuletzt der Mensch erschaffen worden waren. Der Text beschreibt also eine Umkehrung der Schöpfung – zurück zum Urzustand des Chaos.
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Als alle Geschöpfe die Arche bestiegen hatten, schloss Gott hinter ihnen zu, und die Fluten begannen zu steigen.
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Im sechshundertsten Lebensjahr Noachs, am siebzehnten Tag des zweiten Monats, an diesem Tag brachen alle Quellen der gewaltigen Urflut auf und die Schleusen des Himmels öffneten sich. (Gen 7, 11)
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āGott öffnete das Gewölbe, das er erschaffen hatte (Gen 1, 6), sodass es die Wasser von oben nicht mehr zurückhielt. Auch die Wasser von unten stiegen, sie respektierten die von Gott gesetzten Grenzen nicht mehr. Vierzig Tage lang stiegen die Wassermassen, bis sie schließlich alles bedeckten – sogar die höchsten Berge. Die Erde war nicht mehr bewohnbar, es herrschte wieder das Chaos.
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Dritter Akt
Danach folgte der dritte Akt (Gen 8): Die Welt wurde erneuert oder neu erschaffen, und zwar nach der gleichen Ordnung wie in Genesis 1. So wie der Wind anfangs über die Wasser wehte, so wehte er wieder über die Wasser.
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Da gedachte Gott des Noach sowie aller Tiere und allen Viehs, die bei ihm in der Arche waren. Gott ließ einen Wind über die Erde wehen und das Wasser sank. Die Quellen der Urflut und die Schleusen des Himmels wurden geschlossen; der Regen hörte auf, vom Himmel zu fallen. (Gen 8, 1-2)
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Die Wasser gingen allmählich zurück, bis schließlich das Land sichtbar wurde (vgl. Gen 8, 4). Der Text erwähnt das Licht nicht ausdrücklich, aber wir können uns vorstellen, dass, sobald der Sturm abflaute, die Sonne wieder schien. Als Noach die Luke öffnete, muss Licht in die Arche geströmt sein, das die Dunkelheit im Innern vertrieb. Die Erzählung erwähnt dann in Genesis 8, 7 und 8, 11 Vögel und Pflanzen (Rabe, Taube und Ölzweig) – analog zum ersten Schöpfungsbericht. Als die Taube nicht mehr zurückkehrte, wusste Noach, dass das Land trocken und wieder bereit war für die Aufnahme von Menschen und Tieren. Daraufhin verließ er mit seiner ganzen Familie und allen Tieren die Arche. (vgl. Gen 8, 13-19)
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Vierter Aktā
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Im vierten und letzten Akt (Gen 9) spendete Gott den gleichen Segen und gab das gleiche Gebot wie am Anfang der Erschaffung des Menschen. Gott segnete Noach und seine Söhne und sprach zu ihnen: „Seid fruchtbar, mehrt euch und füllt die Erde!" (Gen 9, 1). Er erneuerte auch seinen Bund.
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Siehe, ich richte meinen Bund auf mit euch und mit euren Nachkommen nach euch und mit allen Lebewesen bei euch, mit den Vögeln, dem Vieh und allen Wildtieren der Erde bei euch, mit allen, die aus der Arche gekommen sind, mit allen Wildtieren der Erde überhaupt. Ich richte meinen Bund mit euch auf: Nie wieder sollen alle Wesen aus Fleisch vom Wasser der Flut ausgerottet werden; nie wieder soll eine Flut kommen und die Erde verderben. Und Gott sprach: Das ist das Zeichen des Bundes, den ich stifte zwischen mir und euch und den lebendigen Wesen bei euch für alle kommenden Generationen: Meinen Bogen setze ich in die Wolken; er soll das Zeichen des Bundes werden zwischen mir und der Erde. (Gen 9, 9-3)
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āDoch die Bedingungen für diesen neuen Bund hatten sich geändert. Im ersten Bund sollten die Menschen in Harmonie mit den Tieren leben, und es gab nur das einfache Gebot, nicht die Früchte vom Baum der Erkenntnis von Gut und Böse zu essen. Jetzt, in diesem neuen Bund wurden die Dinge schwieriger. Jetzt fürchteten die Tiere die Menschen:
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Furcht und Schrecken vor euch soll sich auf alle Tiere der Erde legen, auf alle Vögel des Himmels, auf alles, was sich auf dem Erdboden regt, und auf alle Fische des Meeres; in eure Hand sind sie gegeben. Alles, was sich regt und lebt, soll euch zur Nahrung dienen. Das alles übergebe ich euch wie die grünen Pflanzen. Nur Fleisch mit seinem Leben, seinem Blut, dürft ihr nicht essen. (Gen 9, 2-4)
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āMorden war ausdrücklich verboten – als Reaktion auf Kain, der seinen Bruder ermordet hatte.
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Wer Blut eines Menschen vergießt, / um dieses Menschen willen wird auch sein Blut vergossen. / Denn als Bild Gottes / hat er den Menschen gemacht. (Gen 9, 6)
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Gott versprach seinerseits, nie wieder die Erde zu zerstören, und setzte den Regenbogen als Zeichen des Bundes in die Wolken.
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Ich richte meinen Bund mit euch auf: Nie wieder sollen alle Wesen aus Fleisch vom Wasser der Flut ausgerottet werden; nie wieder soll eine Flut kommen und die Erde verderben. Und Gott sprach: Das ist das Zeichen des Bundes, den ich stifte zwischen mir und euch und den lebendigen Wesen bei euch für alle kommenden Generationen: Meinen Bogen setze ich in die Wolken; er soll das Zeichen des Bundes werden zwischen mir und der Erde. Balle ich Wolken über der Erde zusammen und erscheint der Bogen in den Wolken, dann gedenke ich des Bundes, der besteht zwischen mir und euch und allen Lebewesen, allen Wesen aus Fleisch, und das Wasser wird nie wieder zur Flut werden, die alle Wesen aus Fleisch verdirbt. Steht der Bogen in den Wolken, so werde ich auf ihn sehen und des ewigen Bundes gedenken zwischen Gott und allen lebenden Wesen, allen Wesen aus Fleisch auf der Erde. Und Gott sprach zu Noach: Dies ist das Zeichen des Bundes, den ich zwischen mir und allen Wesen aus Fleisch auf der Erde aufgerichtet habe. (Gen 9, 11-17)
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āWas wir hier sehen, ist eine neue Schöpfung, mit einer neuen Familie und einem neuen Bund sowie neuen Geboten. Und dennoch wurde dadurch die Sünde nicht aus der Welt geschafft.
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Noachs und Hams Sündeā
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Noach sündigte durch Trunkenheit.
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Noach, ein Ackerbauer, war der Erste, der einen Weinberg pflanzte. Er trank von dem Wein, wurde davon betrunken und entblößte sich drinnen in seinem Zelt. Ham, der Vater Kanaans, sah die Blöße seines Vaters und erzählte davon draußen seinen beiden Brüdern. Da nahmen Sem und Jafet einen Überwurf; den legten sich beide auf die Schultern, gingen rückwärts und bedeckten die Blöße ihres Vaters. Sie hatten ihr Gesicht abgewandt, sodass sie die Blöße ihres Vaters nicht sahen. Als Noach aus seinem Weinrausch erwachte und erfuhr, was ihm sein jüngster Sohn angetan hatte, sagte er: Verflucht sei Kanaan. / Sklave der Sklaven sei er seinen Brüdern! Und weiter sagte er: Gepriesen sei der HERR, der Gott Sems, / Kanaan aber werde sein Sklave. Raum schaffe Gott für Jafet. / In Sems Zelten wohne er, / Kanaan aber werde sein Sklave. (Gen 9, 20-27)
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āHams Sünde ist für uns erst einmal schwer zu verstehen. Was war so schlimm daran, seinen Vater nackt zu sehen? Und warum verfluchte Noach seinen Sohn Kanaan anstelle Hams?
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Obwohl die Art der Sünde Hams nicht klar benannt wird, könnte eine Interpretation lauten, dass er in Rebellion gegen seinen Vater mit seiner Mutter Inzest begangen hatte. Der Ausdruck ‚die Scham eines anderen aufdecken' (oder ,... zu sehen') war in der Antike eine Umschreibung für ‚Sex haben‘. Die Scham des Vaters aufdecken bedeutete also, mit dessen Frau eine inzestuöse Beziehung einzugehen. Dieser Gedanke ist auch an anderer Stelle in der Bibel zu finden:
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Niemand von euch darf sich einer Blutsverwandten nähern, um ihre Scham zu entblößen. Ich bin der HERR. Die Scham deines Vaters, nämlich die Scham deiner Mutter, darfst du nicht entblößen. Sie ist deine Mutter, du darfst ihre Scham nicht entblößen. Die Scham der Frau deines Vaters darfst du nicht entblößen; sie ist die Scham deines Vaters. (Lev 18, 6-8)
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āWenn es so war, dann war Kanaan die Frucht dieser Inzestbeziehung. Das würde erklären, warum Noach ihn verfluchte.
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Kapitel 10 setzt die Genealogie von Sets Nachkommen fort, die in Kapitel 6 durch die Sintflut-Erzählung unterbrochen worden war. Diese Genealogie ist wichtig, denn viele der ā Enkel und Urenkel Noachs gründeten weitere Völker und Städte, die eine bedeutende Rolle in der späteren Geschichte spielen sollten. Die Kanaaniter, Nachkommen Kanaans, wurden schließlich zu Israels Hauptfeinden. Unterbrochen wird die Geschlechterfolge wiederum durch die Erzählung vom Turmbau zu Babel.
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Der Turmbau zu Babel (Gen 10–11)ā
Leider breiteten sich Sünde und Bosheit weiter in der Welt aus, wie wir es nun in der Erzählung vom Turmbau zu Babel sehen.
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Die ganze Erde hatte eine Sprache und ein und dieselben Worte. Als sie ostwärts aufbrachen, fanden sie eine Ebene im Land Schinar und siedelten sich dort an. Sie sagten zueinander: Auf, formen wir Lehmziegel und brennen wir sie zu Backsteinen. So dienten ihnen gebrannte Ziegel als Steine und Erdpech als Mörtel. Dann sagten sie: Auf, bauen wir uns eine Stadt und einen Turm mit einer Spitze bis in den Himmel! So wollen wir uns einen Namen machen, damit wir uns nicht über die ganze Erde zerstreuen. (Gen 11, 1-4)
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āHier wiederholt sich die Sünde von Adam und Eva: die Sünde der Überheblichkeit. So wie Adam und Eva selber Götter werden wollten – aber ohne Gott – so wollten auch die Menschen von Babel sich einen großen Namen machen unter Missachtung Gottes. Mit ihren eigenen Mitteln und aus eigener Kraft wollten sie den Himmel erreichen. Umgehend bestrafte Gott sie dafür.
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Da stieg der HERR herab, um sich Stadt und Turm anzusehen, die die Menschenkinder bauten. Und der HERR sprach: Siehe, ein Volk sind sie und eine Sprache haben sie alle. Und das ist erst der Anfang ihres Tuns. Jetzt wird ihnen nichts mehr unerreichbar sein, wenn sie es sich zu tun vornehmen. Auf, steigen wir hinab und verwirren wir dort ihre Sprache, sodass keiner mehr die Sprache des anderen versteht. Der HERR zerstreute sie von dort aus über die ganze Erde und sie hörten auf, an der Stadt zu bauen. Darum gab man der Stadt den Namen Babel, Wirrsal, denn dort hat der HERR die Sprache der ganzen Erde verwirrt und von dort aus hat er die Menschen über die ganze Erde zerstreut. (Gen 11, 5-9)
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āDiese Sünde beschädigte aufs Neue die Beziehung der Menschen untereinander, indem Gott die Sprache der Menschen verwirrte, so dass sie einander nicht mehr verstehen konnten. Danach zerstreute er sie über die ganze Erde. Aus dem Volk von Babel ging das Babylonische Reich hervor, das im späteren Verlauf der Geschichte Jerusalem zerstören und praktisch alle Juden nach Babylon verschleppen sollte. Kapitel 11 setzt die Genealogie der Nachkommen Sets fort bis zu Abram.
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Zusammenfassungā
Wir haben das Ende dieser Lerneinheit erreicht, die von der Ausbreitung der Sünde seit Beginn der Welt handelt. Die Kapitel 3 bis 11 bilden den Auftakt für die Geschichte der Erlösung. Dieser erste Teil der Bibel endet wie ein Cliffhanger. Die Sünde hat sich wie eine Flut über die ganze Welt ausgebreitet und Gottes ursprünglichen Plan zunichte gemacht. Die enge Verbundenheit mit dem Menschen, die Gott im Sinn hatte, scheint vollkommen zerstört. Gibt es noch Hoffnung für die Menschheit? Kann Gott diese Situation bereinigen? Wenn ja, wie? Wir müssen die Bibel weiter lesen, um diese Fragen zu beantworten. Die Kapitel Genesis 1 bis 11 bilden eine großartige, gelungene Einleitung.
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Aufgabenā
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Lesen Sie Genesis 3 bis 11!
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āBeschreiben Sie das Wesen der Sünde Adams und Evas!
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Wie leitet ihre Sünde die Handlung für den weiteren Verlauf der biblischen Erzählung ein?
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āWelche Bedeutung hat die Sintflut im Zusammenhang der biblischen Geschichte?
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Denken Sie, dass Genesis 1 bis 11 eine gelungene Einleitungā für die Heilsgeschichte darstellt? Erläutern Sie Ihre Antwort!ā